Warenproduktion und Werte im Sozialismus?

Am Beispiel Juchatán deutlich, daß nicht der Markt und Geld an sich das Problem darstellen, sondern in einer anderen kulturellen Einbindung tatsächlich nur vermittelnde Funktionen, aber keine herrschenden einnehmen können.

Im Falle der versuchten Sozialismen in diesem Jahrhundert jedoch wurde die sachliche Macht des Kapitals lediglich ersetzt durch die Macht einer Führungsclique.

(Der Unterschied zu Juchatán bestand in der Komplexität der Produktions- und anderen gesellschaftlichen Strukturen, die direkte, persönliche Beziehungen als Grundlage objektiv nicht möglich machten. Inzwischen hat sich die Form der Komplexität allerdings gewandelt und fordert geradezu funktionale Selbstorganisation statt zentraler Steuerung!)

Diese Führungsgruppe hatte im günstigsten Fall wenigstens subjektiv die allerbesten Beweggründe (oft übernahmen bewährte Antifaschisten unter vielen persönlichen Opfern die Aufgabe, das neue Leben zu organisieren...). Aber allein die Struktur der Produktionsplanung und die Produktion selbst konnte nur undemokratische, sich verselbständigende Prozesse hervorbringen. Ein Kombinat mit 60 000 Werktätigen kann einfach nicht demokratisch und selbstbestimmt arbeiten! Noch dazu, wenn Produktivität und Effektivität hochgeputscht werden müssen und deshalb keine uneffektiven Lernprozesse zugelassen oder gar hervorgerufen werden können. Solche Lernprozesse sind notwendig für eine wirkliche Emanzipation - gelingen aber nicht in einer allgemeinen Mangelwirtschaft, in der abstrakte "Produktivität" oder gar der quantitative Produktionsausstoß wichtiger waren als menschliche Entfaltung. Da dies in den versuchten Sozialismus so war (aus welchen Gründen auch immer - ich denke, die objektiven waren sehr gewichtig), konnten sie sich nicht von dem Modell der "Wirtschaftlichkeit" emanzipieren, die abstrakte sachliche Beziehungen/Zahlen und entfremdete Leitungsprozesse zur Organisation der gesellschaftlichen Grundstrukturen erfordert. In den 20er Jahren setzte sich nach einigen Diskussionen in der UdSSR die Auffassung durch, die Warenproduktion und Wertbetrachtung an sich seien nicht zu verwerfen, sondern sozialistisch umzudefinieren. Das wurde - obwohl für die spezifische Situation dort und damals sicher ohne Alternative - später verallgemeinert und fesselte deshalb weitergehende emanzipative Ansprüche (z.B. statt die Warenproduktion immer mehr zu erhöhen, die Arbeitszeit stärker zu senken...).

Aus meiner jetzigen Kenntnis des Zusammenhangs von Werten, Waren und Kapital in den Marxschen Überlegungen folgt auch, daß ich mir keinen Emanzipationsschub von einer nur andersartigen Verwaltung der anonymisierenden und entfremdenden Wert-Vergesellschaftung vorstellen kann.

Das beherrschende Verhältnis der Werte folgt aus der Erpreßbarkeit - daß Lebensnotwendiges nur als Ware erhältlich ist, daß eine Unterordnung unter diese Werte unumgänglich ist. Dies war auch im Sozialismus so, hier wurde es direkt so genannt: "Du mußt Dich der Sache unterordnen, der Sache dienen...". Da es hier allerdings keine "unsichtbare ordnende Hand" gab, mußten Menschen subjektiv die Ansprüche "der Sache" durchsetzen - dies taten die Partei- und andere Funktionäre. Sie traf dann auch der Haß als Menschen - was bei den anonymen Kapitalbewegungen wesentlich schwerer ist. Tragisch ist, daß vor allem in den frühen Jahren viele Menschen mit gutem Willen ihr Leben tatsächlich einer historisch berechtigten und notwendigen (auch im Ahlener Programm der CDU wurde Sozialismus gefordert, um Faschismus nie wieder möglich zu machen) "Sache" opferten und sie für diese Opfer dann nur einen Fußtritt bekamen (auch diejenigen, die ohne subjektive Schuld immer "zwischen Borke und Baum" zu vermitteln suchten).

Es entstand deshalb auch kulturell keine wesentlich andere Gesellschaftsstruktur.

"Wer ja sagt zu Ware und Wert, sagt ja zum Kapital."
(
Schandl, F., Der Wert. Smith, Ricardo, Marx, in: Streifzüge 2/1996)

Ich denke, das Nachbeten der Ansicht, daß der Sozialismus vor dem Kommunismus gebraucht würde, um die Voraussetzungen für den Kommunismus erst zu schaffen, ist erstens überholt und verletzt zweitens die notwendige Einheit von Mitteln und Zweck so sehr, daß die Mittel den Zweck konterkarieren.

 


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