Juchitán - Stadt der Frauen

Hrsg.: Veronika Bennholdt-Thomsen
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1997
251 S., ISBN 3 499 13396 2

Der von Veronika Bennholdt-Thomsen nach mehrmaligen längeren Aufenthalten in der schon legendär gewordenen mexikanischen Stadt Juchitán herausgegebene Bericht von dieser "Stadt der Frauen" ist eine Überraschung.
Diese Stadt selbst fällt bereits in einer Statistik auf, weil in ihr nachweislich in Mexiko am wenigsten Säuglinge sterben, die Neugeborenen das höchste Geburtsgewicht haben, die Alterserwartung am höchsten ist usw. Und das seit Jahrzehnten stabil mitten in einem sog. "Schwellenland", das seit 1982 von gewaltigen Finanz- und ökonomischen Krisen mit massiver Arbeitslosigkeit und Armut gebeutelt wird.
Wirtschaftlich ist auch dieser ca. 80 000 Menschen umfassende ökonomische Komplex von ausgeprägten Handelsbeziehungen unter Nutzung von Geld geprägt. Geld und Warenaustausch "an sich" sind es also nicht allein, die zu verurteilen sind, wenn in anderen Ländern die globalen Märkte zu massiven ökonomischen, sozialen und ökologischen Desastern führen.
Kennzeichnend ist strukturell, daß der Warenkreislauf regional und an die konkreten Lebensbedürfnisse der Menschen gebunden bleibt. Überschüsse werden nicht akkumuliert, sondern "verfeiert". Diese Feste auf Gegenseitigkeit sind die Grundlage für soziale Anererkennung, so daß das übliche Grundmotiv des Konsumismus, "erst etwas haben zu müssen, um jemand sein zu können" hier keinen Sinn hat (S. 27). Damit sind wir bei den tieferen Hintergründen dieser Strukturen: Sie zeichnen sich durch einen anderen, als den bei uns sozial und psychologisch vorherrschenden Umgang mit Wirtschaftszielen und Geld aus. Als ihnen eine ertragreichere Maissorte vorgestellt wurde, beeindruckte sie der hohe Ertrag wenig - sie fragten "Taugt der Mais für Totopos?" (Fladen) und genau das tat er wegen einer anderen Ölzusammensetzung nicht. Nutzen und Qualität stehen also höher als Quantität und abstrakter Wert. Im Austausch vermischen sich Natural- und geldvermittelter Austausch, wobei die gegenseitigen Ansprüche i.a. qualitativ gleichwertig abgegolten werden. Das öffentliche Leben und der Markt sind auffallenderweise von Frauen dominiert. Sie sind es, die durch das Durchsetzen unmittelbarer Lebensbedürfnisorientierung die allgemeine Zielsetzung und Organisation des Wirtschaftens bestimmen - und diese unterscheident sich signifikant von den weltweiten, von Männern dominierten, Wirtschaftsformen, bei denen sich abstrakte Werte von qualitativen Bedürfnissen i.a. längst voneinander abgekoppelt haben.
Die Autorinnen des Bandes betonen, daß sie mit dem Bericht über Juchatán kein zu verallgemeinerndes Modell vorstellen wollen. Angesichts der scheinbar überwältigenden "Globalisierung" mit ihren Zwängen zu Sozialabbau und Aufgabe regionaler Gestaltungsmacht sollte die folgende Erfahrung doch zu denken geben:
"Wenn die Menschen eine Eigenständigkeit gegenüber den Mechanismen der modernen Marktwirtschaft behaupten, vermögen sie sich der Krise zu entziehen." (S. 24)


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