Individuelle Selbstentfaltungsbedürfnisse
als Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung

Diesen Teil des Textes "Selbstentfaltungs-Gesellschaft" schrieb ich in Bad-Boll, während der Tagung "Tatort Zukunft. klären - stärken - handeln. 35 Jahre Erfahrung in Zukunftswerkstätten" (vom 7.-9. November 2005) u.a. zur Vor- und Nachbereitung meiner Workshoppräsentation dort.

Wenn der Mensch im Mittelpunkt der Überlegungen und der Praxis stehen soll, so muss es zuerst darum gehen, in welchem Sinne wir menschliche Individualität verstehen. Ein einseitiges pessimistisches Menschenbild würde uns jeden Weg zu einer humanen Gesellschaftsvorstellung verbauen. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein humanes Leben nur in einer nicht zerstörten Natur stattfinden kann - daraus ergeben sich Anforderungen an die Art der Bedürfnisbefriedigung von Menschen. Menschengerechte, d.h. die Individualität fördernde und ökologische Prinzipien können nur in nicht herrrschafts- und nicht zwangsförmigen Prozessen realisiert werden. Die Herrschafts- und Zwangsfreiheit zeigt sich strukturell in spezifischen Selbstorganisierungsstrukturen (dezentral-vernetzt). Diese Vorstellungen selbst organisierter Lebens- und Arbeitsformen sind angesichts der überkommenen Herrschafts- und Zwangsformen als kaum vorstellbar. Dass diese Vorstellungen keine unmöglichen Hirngespinste, sondern verwirklichbare Zukunftsvorstellungen, d.h. konkrete Utopien (im Sinne Ernst Blochs) sind, zeigt dann die Vorstellung von vorhandenen Möglichkeiten, Ansätzen und Tendenzen, die wir für unsere Bemühungen nutzen können.

Menschen als gesellschaftliche Individuen

Zu diskutieren ist also das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft bzw. Gesellschaft, von Einzelnem und Allgemeinem. Dabei stehen uns verschiedene Denkmuster zur Verfügung. Im abstrakten oder auch dem formal-logischen Denken ist das Einzelne dem Allgemeinem untergeordnet, das Allgemeine "subsumiert" (Fn1.) das Einzelne. Das führt uns zu dem Dilemma, dass wir entweder dem Einzelnen oder dem Allgemeinen die Priorität zuweisen müssen und das jeweils andere dann eine untergeordnete Funktion erhält. Politisch wird das Individuum gegen die Gesellschaft ausgespielt und umgekehrt. (Fn2.) Aber der Komplexität des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft wird diese einfache Logik nicht gerecht, wir müssen eine höhere Form des Denkens wählen. (Fn3.) Dementsprechend sind die einzelnen Menschen keine isolierten Individuen, sondern die Gesellschaftlichkeit steckt quasi in jedem einzelnen Menschen "drin". Die Gesellschaft ist nicht nur ein Medium oder eine Infrastruktur zwischen den einzelnen Individuen oder steht gar über ihnen, sondern sie ist das Produkt des Handelns der konkreten Individuen unter übernommenen historischen Bedingungen und in dementsprechenden Verhältnissen. as Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass keins der Momente vom anderen jemals wirklich getrennt ist, sondern dass jedes Moment das andere in sich enthält, wobei dieses Ineinanander-Sein keine differenzlose Vermischung ergibt, sondern durchaus differenziert und auch widersprüchlich ist. Die Gesellschaft ist nichts außerhalb der Individuen und die Individuen sind immer schon gesellschaftliche Individuen. In unterschiedlichen Gesellschaftsformen, denen unterschiedliche Individualitätsformen entsprechen, unterscheidet sich auch die konkrete Ausgestaltung von Individualität, Gesellschaft und wechselseitigen Bezügen. Dieses "dialektische" Verhältnis von Individuen zur Gesellschaft wirkt sich auch auf die gegenseitigen Beziehungen der Individuen aus. Kein Individuum ist wirklich vom anderen getrennt - jedes ist mit den anderen verbunden. Die Verbindung ist aber nicht äußerlich. Ich kann mir nicht erst die einzelnen Individuen vorstellen und danach Verbindungslinien zwischen ihnen hinzudenken, denen ich Etiketten wie "Solidarität" oder ähnlich anhefte, sondern die Existenz jedes einzelnen Menschen setzt die Existenz der anderen voraus, die Identität jedes Einzelnen setzt seine Beziehungen zu anderen voraus (Fn 4.) und seine Entwicklung, seine schöpferische Entfaltung sowieso.

Die spezifische Möglichkeit für menschliche Individuen

Auch Tiere können nicht wirklich als Einzelorganismen leben und tierische Gemeinschaften existieren nicht außerhalb der einzelnen Tiere. Aber die menschliche Gesellschaft hat einen wesentlichen qualitativen Unterschied gegenüber tierischen Gemeinschaften, der für die Verhaltensmöglichkeiten ihrer Individuen sehr bedeutsam ist. Jedes einzelne Tier kann nur dann leben, wenn es einen ganz bestimmten Beitrag zur Reproduktion seiner sozialen Gemeinschaft bzw. Population erbringt. Schwer erkrankte oder untätige Tiere werden nicht über längere Zeit hinweg mitversorgt. Jedes Individuum hat hier eine bestimmte Funktion für das Überleben der Gruppe auszufüllen und in diesem Sinne steht hier die Überlebens- und Entwicklungsgemeinschaft über dem Individuum. Auch die menschliche Gesellschaft als Ganzes wird durch die Aktivitäten der Menschen gebildet - bestimmte Aktivitäten sind im Ergebnis notwendig zum Erhalt der Gesellschaft. Aber diese für die Gesellschaft existentiellen Notwendigkeiten werden nicht direkt "heruntergebrochen" auf die Individuen - menschliche Individuen sind nicht von Natur her festgelegt auf ihr Funktionieren im Interesse des Systemerhalts. Das zeigt sich u.a. daran, dass menschliche Individuen durch die gesellschaftlich geschaffenen Lebensmöglichkeiten auch dann ihr Leben erhalten können, wenn sie gerade oder auch grundsätzlich nichts beitragen zur Aufrechterhaltung der Gesellschaft. "Individuelle Subjekte werden auch dann durch die gesellschaftlichen Bedingungen in ihrer Existenz "miterhalten", wenn sie gerade keinen Beitrag zu deren Reproduktion leisten." (Holzkamp 1983: 35) Insgesamt muss zwar der Beitrag aller Beteiligten ausreichen zur Aufrechterhaltung und Entwicklung der Gesellschaft, aber die Rolle des Einzelnen ist dabei nicht festgelegt wie in den tierischen Gemeinschaften. Dass diese Rolle nicht von der biologischen Natur oder anderen physischen Sachzwängen festgelegt ist, zeigt sich schon daran, dass in verschiedenen historischen Gesellschaftsformen und in unterschiedlichen Kulturen der Beitrag der Einzelnen auf völlig verschiedene Weise erfolgen kann. Es gibt dann jeweils unterschiedliche gesellschaftliche Vorgaben für das Individuum, aber einerseits können diese in verschiedenen Gesellschaftsformen unterschiedlich sein und andererseits hat in jeder Gesellschaftsform der Einzelne auch selbst die konkrete Wahl, wie er sich zu diesen vorgegebenen Möglichkeiten verhält. Das heißt nicht, dass das Individuum in jedem Moment machen kann, was es gerade möchte, aber: "Demgemäß haben die gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsnotwendigkeiten für die Individuen nicht den Charakter von direkten Handlungszwängen, sondern lediglich von gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten." (ebd.) Das heißt immer auch: Es kann sich den Handlungsmöglichkeiten gegenüber auch verweigern, etwas anderes oder gar nichts tun etc. (ebd.) Dieser zusätzliche Freiheitsgrad von menschlichen Individuen bestimmt die spezifische Möglichkeitsbeziehung von Menschen gegenüber der Welt und speziell ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse. Er kennzeichnet das spezifisch Menschliche, die ja biologisch gesehen auch "nur" Tiere sind. Wenn unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen denjenigen Menschen, die gerade oder grundsätzlich nichts zum Erhalt der Gesellschaft beitragen, das Lebensrecht abgesprochen wird, so kennzeichnet dies eine unmenschliche Position, in der Menschen zu Tieren gemacht werden. Und eine nur-biologische Sichtweise erweist sich deswegen als inhuman.

Bürgerlich-moderne Verhältnisse

Unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen mag es nahe liegen, die oben genannte formale Denkweise der Unterordnung der Einzelnen unter das Allgemeine anzuwenden, weil die einzelnen Individuen tatsächlich weitestgehend den gesellschaftlichen Normen, Erwartungen und strukturellen Zwängen unterworfen sind. Aber auch unter stärksten Macht-, Herrschafts- und Zwangsverhältnissen sind die Individuen niemals nur Unterworfene, sondern sie erzeugen diese Verhältnisse durch ihre Aktivitäten, z.B. gerade jene der Unterwerfung, auch mit. (Fn5.) Diese Feststellung ist nicht als Schuldzuschreibung misszuverstehen. Es geht nicht darum zu sagen, dass Menschen sich einfach nur grundsätzlich verweigern sollten. Es geht darum, die doch noch vorhandenen Möglichkeitsräume sichtbar zu machen, weil die vorhandenen Zwänge sie oft verdecken und verstecken. Einerseits gibt es Möglichkeitsräume innerhalb der abgesteckten Zwangsrahmen (Möglichkeiten "1. Ordnung")- es steht mir z.B. im Kapitalismus frei zu wählen, von wem ich mich ausbeuten lassen möchte (solange mich überhaupt noch jemand profitabel ausbeuten will und kann). Es geht aber darüber hinaus darum, die Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten in Frage zu stellen und zu erweitern und neue Rahmen abzustecken (Möglichkeiten "2. Ordnung"). Es geht also nicht nur um die Auswahl der Waschmittelsorte, sondern um die Wahl, ob ich mich den Gegebenheiten unterwerfe oder mich bemühe, sie zu überschreiten. (Fn6.) "Jedes Individuum, solange es als Mensch am Leben ist, hat ... angesichts jeder aktuellen Einschränkung oder Bedrohung immer in irgendeinem Grad die Freiheit, seine Bedingungsverfügung zu erweitern oder darauf zu verzichten." (Holzkamp 1983: 370) Wir verfügen als Individuen jeweils in begrenztem Maße über die Bedingungen unserer Existenz. Wir können uns mit dem gegebenen Ausmaß zufrieden geben oder uns dafür einsetzen, dieses Ausmaß auszuweiten oder qualitativ zu verändern. Wir können nicht in jedem Moment tun und lassen, was wir wollen, aber wir können die Art und Weise, wie wir uns verhalten, mindestens in Gedanken nachvollziehen, uns darüber eine Meinung bilden und uns kritisch demgegenüber verhalten. Diese gedankliche Kritik geht in den meisten Fällen den praktischen Veränderungsversuchen auch voraus, obwohl sie natürlich nicht ausreicht.
Die beiden eben genannten grundsätzlichen Entscheidungsvarianten bezüglich der Möglichkeiten "2. Ordnung" wurden von Klaus Holzkamp benannt als "restriktive Handlungsfähigkeit" (Holzkamp 1983: 413) sowie als "verallgemeinerte Handlungsfähigkeit" (ebd.: 398). Die restriktive Handlungsfähigkeit ist davon gekennzeichnet, dass sich das Individuum in seinen Abhängigkeiten einrichtet und im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten verbleibt statt ihre Ausweitung zu suchen. Das machen wir alle tagtäglich bezüglich vieler unhinterfragter Selbstverständlichkeiten. Die verallgemeinerte Handlungsfähigkeit dagegen zielt auf eine Erweiterung der Lebensmöglichkeiten durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen, was das Individuum aber nicht allein und nicht sofort bewältigen kann. Die Entscheidung darüber, ob ein Individuum sich entscheidet, "seine Bedingungsverfügung zu erweitern oder darauf zu verzichten", steht nur diesem Menschen selbst zu. Hier kann auf keinen Fall ein neuer Zwang deklariert werden, der z.B. verlangt, dass die Menschen immer nur an der Erweiterung ihrer Möglichkeiten arbeiten müssen und der Verzicht darauf moralisch abgewertet wird. Die Entscheidungen beruhen auch nicht auf willkürlichen Eingebungen, sondern sind durchaus begründet und diese Gründe sind intersubjektiv vermittelbar.

Subjektstandpunkt und Selbstentfaltung

Unter dieser Prämisse, dass jedes Individuum selbst für sich Entscheidungen trifft und dementsprechend handelt, bekommen Beziehungen zwischen ihnen eine besondere Qualität. Es geht dann nicht mehr, dass irgend ein gemeinsames Ziel über die jeweils konkreten Bedürfnisse und Interessen jedes einzelnen Beteiligten gestellt werden kann und der Einzelne sich dem unterordnen muss. Sondern das gemeinsame Ganze ist dazu da, die Entfaltung der einzelnen Menschen zu fördern. Das bedeutet auch, dass die beteiligten Menschen sich nicht gegenseitig instrumentalisieren können - es kann also nicht einer den anderen als Mittel zur Realisierung seiner (oder vorgeblich gemeinsamer) Ziele benutzen, sondern alles, was sie gemeinsam tun, muss der Existenz und Entfaltung jedes einzelnen Beteiligten dienen. Jedes einzelne Individuum beteiligt sich nur dann an gemeinsamen Tätigkeiten, wenn es auch seinen Interessen und Bedürfnissen entspricht. Unter der Prämisse, dass die Menschen keine voneinander isolierte Wesen sind, wird es eher so sein, dass gerade das Bedürfnis nach der weiteren Entfaltung der eigenen menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse jedes einzelne Individuum dazu bringt, die Fähigkeiten und Bedürfnisse des anderen zur Steigerung seiner eigenen Möglichkeiten mit zu nutzen. Freiheit ist dann nicht mehr etwas, was ich gegen die jeweils anderen definieren müsste wie es oft getan wird, wenn betont wird, dass die Grenzen meiner Freiheit da liegen, wo ich die Freiheitsgrenzen eines anderen berühre. Nein, jeweils meine Freiheit ist nicht negativ gegen die jeweils andere Freiheit bestimmt, sondern sie existiert nur auf Grundlage der Freiheit des anderen Individuums. Wir verstehen dann die "andere(n) Menschen als Erweiterung unserer Freiheit" ((Hegel HW Bd. 2: 82).

Dass uns die Vorstellung der gegenseitigen Isoliertheit, in der wir unseren Freiraum gegeneinander erkämpfen müssen, näher liegt als die Vorstellung davon, dass wir einander existentiell bedürfen, liegt wohl daran, dass unter den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen viele Lebensbereiche dadurch gekennzeichnet sind, dass sich eine Person nur auf Kosten von anderen entwickeln kann. In einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft müsste jedoch die gesellschaftlichen Ordnung dadurch entstehen, dass jedes Individuum sich selbst optimal entfalten kann weil die Selbstentfaltung der jeweils anderen die Bedingung dazu ist. Ich kann mich nur dann selbst entfalten, wenn die anderen sich auch selbst entfalten können und umgekehrt. Oder anders ausgedrückt: Was ich im Einsatz gegen andere Individuen (oder gegen die Natur) erreiche, schadet letztlich mir selbst. Letztlich ist diese, vom Individuum her gedachte Argumentation die Basis für die Hoffnung auf die Möglichkeit einer "Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (Marx, Engels 1848: 482).

Wenn wir uns vom Standpunkt des gesellschaftlichen Individuums als Subjekt seiner Lebensgestaltung aus in die alltäglichen und auch die weiter führenden Kämpfe einmischen wollen, so ergibt sich daraus eine wichtige Orientierung. Wir können uns nicht mehr vornehmen, andere zu leiten, sie zu Objekten einer Zielerfüllung zu instrumentalisieren, auch wenn wir das ernsthaft in "ihrem Interesse" tun wollen. Wir können uns nicht mal dahin zurückziehen, dass wir wenigstens "die Bedingungen für Andere" schaffen wollen, in denen diese dann hoffentlich selbst aktiv werden. Keine noch so fortschrittliche Gruppe kann "Bedingungen für Andere" schaffen wollen. Diese Anderen würden dabei als Objekte des eigenen Tuns betrachtet. Dahinter verbirgt sich das berühmte Paradox, dass man niemandem befehlen kann, spontan zu sein. Nach fremdgesetzten Bestimmungen für Selbstbestimmung zu suchen, ist ein Widerspruch in sich.

Was spielt das Geschlecht für eine Rolle?

Wenn jedes Individuum in seiner besonderen Eigenart zentrale Quelle gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit ist, so bedeutet dies, dass die Bedeutung des biologischen und auch des sozialen Geschlechts als problematische verschwindet und sich dafür als freudvolle Quelle von individueller Besonderheit entfalten kann (vgl. Schlemm 2001a). "Soziale Utopie ist, einen Zustand zu erreichen, indem die Forderung nach Gleichheit überflüssig wird, weil der Mensch, der alle Möglichkeiten hat, sich in einem Gemeinwesen zu entfalten, nicht einem anderen gleich sein muß, sondern individuell so unterschiedlich sein kann, wie sie und er will." (Ditfurth 1995) Noch müssen wir die Geschlechterfrage betonen, weil es gerade auf diesem Gebiet besonders schwer ist, diese Utopie zu erreichen. Aber um die Geschlechterfrage zu lösen, werden wir uns von ihr verabschieden müssen. "Die Heraufkunft individueller Subjekte erfordert, daß zuvor die Kategorie des Geschlechts zerstört worden ist." (Monique Wittig zit. in Butler 1991: 41).
Fußnoten:

Fn1: Subsumtion meint eine (abstrahierende) Unterordnung, bei der von der Besonderheit des Untergeordneten abgesehen wird. Eine andere Möglichkeit der Einbindung von Besonderem in Allgemeines wird mit dem Hegelschen Denken der (spekulativen) Dialektik möglich.

Fn2: Anlässlich des 150. Todestages von Kierkegaard erklärte z.B. ein Jenaer Philosophieprofessor die Bedeutung Kierkegaards damit, dass Marx die Gemeinschaft, bzw. die Gesellschaft über die Interessen der Einzelnen gestellt hätte, während Kierkegaard dem Einzelnen seine Berechtigung zurückgegeben hätte. (Kodalle 2005)

Fn3: Hegel unterscheidet diese beiden Denkmöglichkeiten als Verstand und Vernunft bzw. als wesenslogisches und begriffslogisches Denken oder auch als negativ-dialektisches und positiv-dialektisches Denken. Letzteres nennt er "spekulativ". (vgl. Schlemm 2005: 133ff. und Schlemm 2002)

Fn4: Martin Buber betont beispielsweise die Notwendigkeit des "Du" für jedes "Ich" (Buber 1997), bei Jean-Paul Sartre bestimmt sich jeder "durch den anderen" (Sartre 1980: 111) und auch für Hegel sind andere Menschen die Bedingung unserer individuellen Freiheit (Hegel 1801: 82).

Fn5: Auf diese Tatsache verweisen vor allem anarchistische Konzepte. Macht funktioniert immer nur solange, wie die Unterworfenen mitmachen und keine Macht überlebt die totale Verweigerung aller Unterdrückten. Auch im feministischen Kontext ist diese Sichtweise wichtig: Frauen sind nicht nur willenlose Opfer der patriarchalen Praktiken, sondern sie tragen durch den Verzicht auf ständigen Widerstand - was dabei nicht moralisch als schlecht bewertet wird - dazu bei, dass die Herrschaftsstrukturen erhalten und immer wieder neu konstituiert werden (vgl. Haug 1980).

Fn6: Hier wird auch noch einmal deutlich der Unterschied zwischen den Verhaltensmöglichkeiten, die einem Tier zur Verfügung stehen und der spezifisch menschlichen Möglichkeitsbeziehung. Tiere können nur innerhalb natürlich vorgegebener Rahmenbedingungen agieren und nur in großen historischen Zeiträumen und auf unbewusste Weise verändern sich Umweltgegebenheiten auch durch die Lebensaktivitäten der Tiere. Menschen können zusätzlich noch die Bedingungen erkennen, die die gegebenen Rahmen der Möglichkeiten stützen und damit einschränken und bewusst daran arbeiten, diese Bedingungen zu verändern.


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Selbstentfaltungs-Gesellschaft






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