3. Hintergründe und Interessen

W. F. Haug kennzeichnet den Krieg in Jugoslawien als "Fortsetzung der Politikunfähigkeit mit anderen Mitteln".

Das Problem bei der Analyse dieses Krieges besteht darin, daß keine eindeutigen Interessen direkt und unmittelbar als Kriegsursache zu unterstellen sind. Trotzdem ist er nicht nur die Folge von Politikunfähigkeit, sondern Folge und Prozeß einer Politik, die ihre Interessen genau auf diese Weise durchsetzt.

Dies bezieht sich einerseits auf die Kräfte im Krisengebiet selbst, deren religiöse, ideologische, ethnische, politische und ökonomische Interessen sich auswirken. Da jedoch in diesem Krieg die Intervention der NATO primär eskalierend wirkt, benenne ich im Folgenden einige Interessen der von außen einwirkenden Kräfte, die weit über die propagierte Menschenrechtsverteidigung hinausgehen.

 



Erst die Kategorie des Interesses stellt das Bindeglied her zwischen dem moralisch-politischen Problem... und dem konkreten militärischen Handeln. Das moralische Argument wird (da)durch ...
nicht diskreditiert, aber es tritt an die Seite von anderen Motiven und Erwägungen, die eben das eigene Interesse definieren. (FAZ, 15. April 1999)

 

Die Verteidigung der Menschenrechte wäre an viel mehr Stellen der Erde notwendig. Daß sie ausgerechnet an dieser Stelle und ausgerechnet auf diese Weise zum Vorwand genommen werden, hat seinen Grund in der Einbindung in weitreichenden Strategien:

 

 

"Die aufstrebenden Länder der Dritten Welt (schaffen) ein größeres Ungleichgewicht der Kräfte. Diese Nationen könnten sich mit feindlichen Staaten zusammenschließen und auf Terror, Erpressung oder begrenzte Kriege zurückgreifen, um einen gleichberechtigten Anteil an den Ressourcen zu erhalten" (Kursivsetzung v. A. S.).

(Meinhard Glanz, Heeres-Inspekteur der Bundeswehr und Edward C. Meyer 1982 im gemeinsam unterzeichneten Dokument "AirLandBattle 2000")

 

Nicht zufällig wurde in einem Fernsehbericht über die NATO der Kampf um das Öl am kaspischen Meer in den Mittelpunkt gestellt. Die Berechtigung der westlichen Staaten, ihre Interessen hier auch militärisch durchsetzen zu können, wird mit dem "Schutz der Investitionen" begründet. Hier kreuzen sich die militärstrategischen, machtpolitischen und auch ökonomie-politischen Interessen. Die militärische Durchsetzung dieser Interessen ist lediglich eine Ergänzung der in Angriff genommenen Aushebelung nationaler politischer Regulierungsmacht für ihre Wirtschaft durch sog. "Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung" (MRA), die dem erfolgreich verhinderten "Multilateralen Investitionsabkommen" (MAI) folgen.

"Die NATO-Militäraktion ist die letzte Konsequenz einer Politik, die darauf abzielt, die Welt nach den Interessen einer Gruppe von imperialen Großmächten, insbesondere der USA zu ordnen... Die Politik von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) gegenüber dem Rest der Welt vollzieht dies auf ökonomischem Gebiet. Über kurz oder lang kommt ein verändertes Multilaterales Abkommen über Investitionen (MAI) nun über die Welthandelsorganisation (WTO) und wird damit die ökonomische Neuordnung abschließen. Militärpolitisch war dies noch nicht geleistet, insbesondere nicht in Europa, wohl aber im fernen persischen Golf. Dies wird nun auch in Europa vollzogen." (Stier)

 

Jedoch die politischen und militärischen Prozesse sind nicht direkt und unmittelbar aus jeweils einer Ursache, einem Interesse heraus ableitbar. Es wirkt ein komplexes Bündel von Ursachen (die von den konkreten Anlässen durchaus unterschieden werden müssen) - die in sich eng miteinander verflochten sind und "in letzter Instanz" durchaus gemeinsame Wurzeln haben.

Ökonomische und machtpolitische Interessen verflechten sich. Dabei sind die ökonomischen Interessen eher übergreifend - machtpolitisch wirkt sich die Konkurrenz der Akteure um Einflußsphären aus.
































 

3.1. Ökonomische Hintergründe

  • Selbstverständlich profitieren wie immer die Rüstungsunternehmen direkt vom Verbrauch ihrer Güter. Der Sonderumsatz aus dem Kosovo-Krieg für den US-Konzern Raytheon, der die Tomahawk-Marschflugkörper herstellt beträgt mindestens 400 Millionen Dollar (Barrol).

Aber auch andere ökonomische Faktoren fallen ins Gewicht:

  • "Handelsblatt":
    "Der gesamte ost- und mitteleuropäische Raum bietet gute Perspektiven für künftige Investoren. Vom Grundsatz her läßt sich der osteuropäische Markt mit Südamerika vergleichen." (nach Ditfurth)
  • 1997 beschreibt das New Strategy-Papier die strategischen US- Interessen: Wirtschaftlicher Export und ungehinderter Zugang zu Öl.

 

 

Financial Times:

"Indem die Rüstungsindustrie ihre mageren Zeiten hinter sich läßt, können sich Rüstungsaktien als eine bessere Investition erweisen als noch vor einem Jahrzehnt." (nach Goldstein)

 


Ex-NATO-Oberbefehlshaber Schmückle: "Letzten Endes entscheiden die Interessen des Westens, hauptsächlich das Interesse der USA, darüber, wo interveniert wird.
Alles dreht sich um Ökonomie."


 

Auch J. Trittin wußte schon 1995:

"Nicht die Sorgen um die weltweite Achtung der Menschenrechte... sondern Sorgen um die Freiheit des Handels und der damit verbundenen Gewinnmöglichkeiten deutscher Unternehmen sind die Gründe dafür, daß Deutschland künftig Krieg zu anderem Zweck als dem der Landesverteidigung führen soll...

Neu ist, daß diese selektiv an den ökonomischen Interessen ausgerichtete Sichtweise künftig durch aktives militärisches Handeln ergänzt werden.

  • Die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt sind heute schon die politische Vorgabe für den Umbau der Bundeswehr von einer (regionalen) Territorialverteidigungsarmee zu einer (globalen) Interventionstruppe."

Diese politischen Vorgaben bestätigt auch Generalinspekteur Naumann 1993:)

 

"Die Zerschlagung Jugoslawiens in kleine territoriale Stücke kann den ökonomischen Interessen der Allianzmitglieder dienen, weil damit schwächere politische Kräfte vor Ort den westlichen Begehrlichkeiten gegenüberstehen."(Hofbauer )



 

 

Es gelten "nur noch zwei Währungen in der Welt: Wirtschaftliche Macht
und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen." (nach Schmid, F., S. 12)

 

3.2 Machtpolitische Hintergründe

Diese "Währungen" setzen sich auch militärpolitisch durch. Seit es nur noch "Blödmänner" (Bohley) sind, die für Frieden demonstrieren, d.h. seit dem Ende des kalten Krieges suchte die NATO nach neuen Aufgaben und fand es prompt in den oben genannten Zielen.

3.2.1. NATO gegenüber UNO

Die NATO forderte schon 1995 eigene Einsätze ohne UN-Mandat. Nach dem Bosnieneinsatz der NATO bekräftigte der Nato-Chef Solana:

 

"Die Allianz muß künftig flexibel auf lokale Krisen und Konflikte reagieren können."

Als neue Bedrohung wurde die Bedrohung des Wohlstandes und der Stabilität der Mitgliedsstaaten ganz allgemein definiert. "Unsere" Sicherheitsinteressen bestanden seitdem nicht mehr nur in der militärischen Verteidigung, die territorial begrenzt war, sondern es wurden als neue Feinde ausgemacht:

  • Staatsterrorismus
  • Islamismus/Fundamentalismus
  • Wanderungsbewegungen ("Elendswanderungen").

 

 














"Die neue Nato ist der Wachschutz für die Reichen der Welt."

(Gottschlich)

  "Künftig wollen sich die USA im Konfliktfall nicht mehr damit belasten, einen internationalen Konsens anzustreben und die Zustimmung der Vereinten Nationen abzuwarten." (Gresh)

 

"Auf die Doktrin der Eindämmung muß eine Strategie der Erweiterung folgen: der Erweiterung freier Gemeinwesen und marktwirtschaftlich orientierter Demokratien." (nach McNamara)

 

Die USA hatten deshalb ein besonderes Interesse, die Existenzberechtigung der NATO in ihrem 50. Jahr nachweisen zu wollen. Dies wird als einer der Gründe angesehen, warum die USA (und die NATO) im Kosovo intervenieren, während sie in Bürgerkriege anderswo nicht eingreifen (Wallerstein). Die USA erhalten sich mit der NATO Hilfstruppen und Mitfinanzierer sowie Hauptabnehmer ihrer High-Tech-Rüstungsgüter.

 

 

3.2.3. Europäische Interessen

Europa versucht den Krieg u.a. als Katalysator zur Stärkung des europäischen Akzentes in der Nato-Allianz zu nutzen.

 

 

 

3.2.4. Die "Weltmachtrolle" (Kohl 1991) der BRD

Der Einsatz der Bundeswehr war seit 1992 für den sicheren Zugang zu Märkten und Rohstoffen geplant. Seit 1994 wurde auch der Export von Rüstungsgütern in OECD-Staaten per Gesetz in der BRD erleichtert. Die komplette Neuorientierung der deutschen Außen- und Militärpolitik wurde 1994 von Verteidigungsminister Rühe mit den "Verteidigungspolitischen Maßnahmen" ohne Beteiligung des Parlaments und öffentlicher Diskussion durchgesetzt. Das Wort "Verteidigung" wurde durch das Wort "Interessenwahrnehmung" ersetzt. (nach Schmid, F., 1995)

Als zusätzlicher, nicht zu unterschätzender Faktor der Weltpolitik kommt hinzu, daß die "öffentliche Meinung" zwar einerseits immer mehr politischen Einfluß hat - sie aber immer weniger von Sachinteressen und deren Durchsetzung gesteuert wird, sondern immer mehr durch Image bestimmt (Seifert). Des neuen Bundeskanzlers "Sieges-"-Image ist kein unwesentlicher Faktor der deutschen Beteiligung.

 

Edzard Reuter (28.1.1999)

"Wollen wir wirklich unsere amerikanischen Freunden die Rolle des Weltpolizisten allein auflasten?"

 

 

3.3 Sozialpsychologische Grundlagen

Nicht nur die Machthaber, auch viele "einfachen Menschen" haben sehr schnell die scheinbare (?) Alternativlosigkeit des Bombeneinsatzes anerkannt. Die Frage: "Was hätte man denn sonst tun sollen?" kommt nicht mehr als Frage, mit der man sich auch selbst auf den Weg nach neuen Antworten begibt - sondern als eher abblockendes Konterargument gegen die unverdrossenen Kriegsgegner. Diese blocken diese Frage als "Fangfrage" ebenso gern ab, bevor sie darüber nachdenken...

Insgesamt deutet die Sachlage darauf hin, daß die zivilisatorischen Potenzen der vorherrschenden Lebens- und Wirtschaftsform ausgeschöpft sind.

Während im Westen dann eher erstaunt gefragt wird, wieso so viele Menschen im Osten noch naiv an den Frieden glauben, fragte der Soziologe Prof. Starke nach den Ursachen der Kriegsbefürwortung. Die zugrundeliegenden sozialpsychologischen Mechanismen und Normsetzungen bedienen alte Denkmuster (bspw: Deutsche seien auserwählt, Ordnung zu schaffen) und werden verstärkt durch ihre Wirkung, angesichts der allgemeinen Orientierungslosigkeit wieder eine klare Perspektive zu geben, sich auf der Seite der Macht und vermutlichen Sieger zu sehen. (Starke).

 

 

3.4 ... in letzter Instanz

Haben diese Interessen und die von ihnen angestoßenen Konflikten eine gemeinsame Grundlage und einen gemeinsamen Kern?

"Der Westen wendet nicht deshalb Gewalt an, weil er sein Territorium ausdehnen oder seine Grenzen befestigen will, sondern im Gegenteil, um die Grenzen zu "destabilisisieren", um sie "fließend" zu machen, um sich auf diese Weise die Kontrolle über jenes am meisten fließende Territorium zu sichern, das kein Territorium hat: das Territorium des Kapitals." (Velikic, S. 46).
So verflochten und versteckt dieser gemeinsame Untergrund aller politischen Prozesse auch sein mag - das herrschende Kapitalinteresse wird immer unübersehbarer.

 

Ob in Form der jegliche nationale Demokratie unterlaufenden "Multilateralen Investitionsabkommen" bzw. "Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung" (MRA) oder des nur wenig propagandistisch verbrämten Bruchs internationalen Rechts. Dabei unterliegen diese Prozesse immer weniger politischer Einflußnahme, sondern folgen einer verhängnisvollen Eigendynamik:

 

 









... keine Verschwörung, sondern eher der "Sachzwang" der Kapitalherrschaft...
(Zum "Feindbild
Kapitalismus" siehe http://www.thur.de/philo/
kapitalismus.htm
)

 


"Kapitalismus bringt Nationalismus hervor. Globalisierung ist die Dominanz der Welt durch eine Handvoll Multis und Banken, und eine Reaktion darauf sind Nationalismus und Tribalismus, was, gekoppelt mit der Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen, ein Rezept für eine fürchterliche Katastrophe im nächsten Jahrhundert ist." (Benn)

 


Weiter zu:

1. Geschichtliche Hintergründe (Kosovo)
2. Der Bürgerkrieg im Kosovo - der NATO-Krieg in Jugoslawien
4. Weltpolitik und internationales Recht
5. Chancen des Friedens
Literatur und Quellen


rectrectrectrectrectrect

Sie können sich den Gesamttext als komprimierte Datei downloaden (exe. 350 kB)

Ebenfalls zum downloaden: Überarbeitete und neue INFOs zum Jugoslawienkrieg (400 kB)

Siehe auch:

Oder:

 

Erst mal wieder
ins Philosophenstübchen

- Diese Seite ist Bestandteil von "Annettes Philosophenstübchen" © 1999 - http://www.thur.de/philo/jug353.htm -