Leseprobe aus: [Ingrid Ahrendt-Schulte, Hanna Behrend, Jutta Jahn, Petra Müller, Gisela Notz u.a.: Über Hexen und andere Auszumerzende] Auszüge aus Hanna Behrend:
Hexen, Zauberer und andere Verfolgte:
Immer geht es um die Erhaltung der Macht
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Massenverfolgungen und -ausrottungen Unschuldiger im Auftrag von Amtsträgern sind in der Geschichte der Menschheit nichts Ungewöhnliches.
Die Verfolgung und Hinrichtung wegen Hexerei von Frauen, aber auch Männern vor allem in Europa zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert war zwar keineswegs die früheste Massentötung unschuldiger Menschen, sie war aber eine der spektakulärsten und folgenreichsten in der Geschichte.
In "Heilige Hure Vernunft. Luthers nachhaltiger Zauber" (Berlin 1983) schrieb der 1948 geborene evangelische Theologe Christoph Türcke: Von der Wissenschaft wurde das Phänomen der mehrere Jahrhunderte andauernden Hexenverfolgungen, -folterungen und -verbrennungen gänzlich oder fast gänzlich ausgeblendet. Erst die neue, so genannte zweite Frauenbewegung, die als Teil der BürgerInnen- und speziell StudentInnenbewegung in den USA und Westeuropa Ende der 1960er Jahre entstand, sich alsbald von diesen abkoppelte und zu einer autonomen globalen Bewegung wurde, erweckte die Märchenfiguren von Hexen und Zauberern zu neuem Leben. Sie definierte sie völlig neu und konträr zu früheren religiösen und abergläubischen Sichtweisen ebenso wie zum pariarchal-aufklärerischen Verständnis. Der neuen Frauenbewegung ist geschuldet, dass die Hexenverfolgungen zu den relativ gut recherchierten Kapiteln der Verfolgungsgeschichte von Frauen gehören. Frauen sehr verschiedener emanzipatorischer und feministischer Richtungen haben sich immer wieder an die Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels der Geschichte gemacht. Sie sind dabei von sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen und Motivationen an das Thema Hexen und Hexenverfolgung herangegangen. Aus dem Grußwort der Vorsitzenden der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft Leipzig, Johanna Ludwig, wird deutlich, dass bereits die Gründerin des ersten deutschen Frauenbildungsvereins - des Allgemeinen deutschen Frauenvereins -, Louise Otto-Peters (1819 - 1895), sich engagiert für die Rehabilitation von als Hexen verurteilten Frauen einsetzte: In der Hexenbulle von 1484 setzte Innozenz VIII. die Dominikaner Sprenger und Institoris als Ermittler (Inquisitoren) ein, "weil er gehört hatte, dass in den Bistümern Mainz, Köln, Trier, Salzburg sehr viele Personen beiderlei Geschlechts Zauberei betrieben, womit sie die Männer hinderten zu zeugen, und die Frauen zu empfangen, und den ehelichen Akt unmöglich machten'". (ebd., S.236). Während Thomas von Aquin jegliche Verhütungspraxis für sündhaft und bußbedürftig, nicht aber für Mord hielt, übertraf die im 13. Jahrhundert von dem Dominikaner Raimund von Penaforte im Auftrag Papst Gregors IX. herausgegebene Sammlung päpstlicher Dekretalen, si aliquis, die bis dahin übliche restriktive und sinnenfeindliche Haltung der Kirche zu Ehe und Nachwuchs erheblich. Jegliche Verhütung galt fortan als Mord, was im Widerspruch zum vorherigen Kirchenrecht stand, dem zufolge erst "die Abtreibung eines beseelten Fetus als Mord unter Strafe" gestellt wurde, d. h. eines Feten von ca. 80 Tagen. Der katholischen Theologin Uta Ranke-Heinemann zufolge wurde "der Glaube an [...] Hexenwahn als Massenwahn [...] maßgeblich von oben gesteuert" (S. 237). Ranke-Heinemann (ebd.) erwähnte den Jesuiten Friedrich von Spee, der 1630 die Dominikaner Sprenger und Institoris für die Hexenprozesse verantwortlich machte, die vor allem und in unglaublich hoher Zahl in Deutschland wüteten. Ihm war offenbar klar, dass die Existenz mutmaßlicher Hexen ein Ergebnis der Folterpraxis war: Zu den Verbrechen, deren Frauen und Männer in der Zeit des Hexenwahns beschuldigt wurden, gehört "Unzucht mit dem Teufel" (ebd., S. 242). In seiner 1896 erschienenen kritischen Geschichte der Hexenprozesse in Bayern schreibt Sigmund von Riezler: Für Uta Ranke-Heinemann ist der Hexenwahn zwar im Wesentlichen, nicht aber ausschließlich eine Folge der Frauenfeindlichkeit vor allem des hohen Klerus, denn er habe sich auch gegen Männer, sowie gegen Sexualität und Körperlichkeit im Allgemeinen gerichtet. Da Sexualität und Körperlichkeit aber mit Weiblichkeit assoziiert wurde, im Gegensatz zu Geistigkeit und Gottesfürchtigkeit, die Männlichkeit zugeschrieben wurden, war der Hexenwahn vor allem eine Folge der Frauenfeindlichkeit der Mächtigen. Den Massen der einfachen Bauern und Bürger und ihren Frauen wurden die Hexenverfolgungen populärwissenschaftlich in den so genannten Teufelsbüchern begründet. In Massenauflagen verbreiteten Reformatoren und Gegenreformatoren mit Hilfe zahlreicher einprägsamer Illustrationen unter dem einfachen Volk die Vorstellung, dass der Teufel allgegenwärtig sei und immer entlarvt und vernichtet werden müsse. Die amerikanische Feministin Mary Daly hält den Kampf um das, was als Herrschaftswissen anzusehen sei, für die Ursache der Verfolgungen. Die Verfolger seien zwar im Besitz offiziell anerkannten Wissens gewesen, das Wissen der Opfer dagegen stammte aus deren älterer kultureller Tradition als Heilerinnen, Hebammen, Weberinnen oder aus anderen Bereichen und wurde zunehmend disqualifiziert. Dieses alte Wissen habe die Frauen sehr unabhängig gemacht. Die neue Klasse männlicher Intellektueller fürchtete die "Hexen" wegen ihrer spirituellen Macht. Aber auch wirtschaftliche Interessen spielten eine Rolle. So warnten die "Hexen" die Menschen vor dem Konsum von Zucker und beriefen sich dabei auf alte orientalische Zivilisationen, die alle körperlichen und geistigen Krankheiten als Folge von Fehlernährung ansahen. Die Kirche, die seit dem Mittelalter an der Zuckerindustrie beteiligt war, hatte somit ein Interesse daran, die Hexen als Feindinnen von Kirche und Staat darzustellen. (Daly, S. 195f.) Daly schildert, dass Kinder ab sieben Jahren in den Hexenprozessen als vollwertige Zeugen vor Gericht benutzt wurden, deren Aussage ausreichte, um ein Todesurteil zu begründen. Dass sie an der Hinrichtung ihrer Mütter durch Feuer oder den Strick teilnehmen mussten, verstand sich damals von selbst. Zeugenaussagen unmündige Kinder und vor allem durch Folter erpresste "Geständnisse" der Angeklagten oder ebenfalls durch Folter zustande gekommene Aussagen von Angehörigen, FreundInnen und NachbarInnen waren die Grundlagen rechtskräftiger Urteile. Hatten die "Hexen" ihre Beziehung zum "Teufel" oder ihre Teilnahme an einem "Hexensabbath" gestanden, wurden sie erneut so lange der Folter unterworfen, bis sie ihre Angehörigen, NachbarInnen oder FreundInnen denunzierten. Für die bei der Folterung verübten Grausamkeiten gab es vor allem in Deutschland so gut wie keine Begrenzung. Nicht wenige der Opfer starben bereits an den schrecklichen Verstümmlungen und Verwundungen unter der Folter. Einige Historiker identifizierten sich bedenkenlos fast bis in die Gegenwart mit Auffassungen damaliger Befürworter des Hexenwahns. In der Einführung zur Ausgabe von 1928 des Hexenhammers nennt der Priester Montague Summers diesen "ein großartiges Werk und eines der tiefschürfendsten und interessantesten Bücher, die er unter Büchern dieser Art je gelesen habe". (ebd., S. 203) Für den Sozialhistoriker und Anthropologen Julio Caro Baroja sind Hexen Frauen, die versagt haben. Voll Mitleid charakterisiert er die Verfolgten als Frauen, "die anderen schaden wollten, es aber nicht schafften, weshalb ihr Leben frustriert und tragisch war"; die Verfolger wären "brutal, weil sie glaubten, sie seien von zahllosen Gefahren umgeben" (ebd., S. 209). Daly zitiert einen Höhepunkt patriarchaler Heuchelei in einem Kommentar zum Hexenhammer von Gregory Zilboorg, einem psychiatrischen Forscher, für den zwar die Hexen, nicht aber ihre Folterer "eine Masse schwer neurotischer und psychotischer Personen" gewesen seien, "die unter ständig wachsenden organischen Delirien" litten. (S. 211f.). Sehr ernst nimmt die Professorin für neue skandinavische Literatur am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität, Stephanie v. Schnurbein, .die gefährlichen und menschenfeindlichen Verbindungen zwischen Feminismus und neuem Hexentum. In ihrem Vortrag im Kronprinzenpalais Unter den Linden in Berlin am 4.7.2002 warnte sie eindringlich vor dem antiemanzipatorischen Frauenbild und den rassistischen Zielstellungen, die damit transportiert würden. Auch sie sieht die Ursachen für das neue Interesse an Hexen darin, dass diese nicht nur Angst vor einem Wahnbild verbreiten, sondern auch den Wunsch von Frauen nähren, naturnah und mächtig zu sein, Frauen zu werden, die mittels magischer Kenntnisse und ihrer Körperlichkeit Macht ausüben können. In einer Zeit, in der die Menschen immer weniger imstande sind ihr eigenes Schicksal zu kontrollieren und steuern, in der Sicherheit, Gewissheit, Stabilität äußerst rar sind und Diskontinuität, Brüche, Umstürze bis zum unvorhersehbaren und unverschuldeten Fall in Abhängigkeit und Armut das Leben von der Wiege bis zum Grabe prägen, ist nicht verwunderlich, dass okkulte Praxen und neue esoterische Kulte und Sekten Zulauf haben und deren alte, zurecht übel beleumdete Wurzeln übersehen werden. Dass Frauenbewegte seit 1970 ein anhaltendes Interesse an dem Thema Hexen artikulieren, und die Aufarbeitung der Geschichte der infolge des Hexenwahns Verfolgten fordern, ist legitim und die Rehabilitierung Letztgenannter überfällig. Das feministische Identifikationsbild der Hexe als einer naturverbundenen, heilkundigen, ihrer Körperlichkeit bewussten und ihre Sinnlichkeit nicht verleugnenden Frau, die offen ist auch für nicht über den Intellekt vermittelte, ganzheitliche und sinnliche Erfahrungen, ist zurecht inzwischen weithin akzeptierter Teil der Tradition feministisch orientierter Frauen geworden. Nicht alle alternativen Vorstellungen über Sinnlichkeit und Körperlichkeit und nicht jede Zelebrierung von Weiblichkeit, die sich frauenfreundlicher Hexenbilder bedienen, haben jedoch eine emanzipatorische Funktion. Zwischen ökologisch-feministisch-spiritualistisch orientierten Zusammenschlüssen und den zahlreichen rechtslastigen germanisch-neuheidnischen Verbänden gibt es fließende Übergänge. Gemeinsam ist jedoch allen die Hervorhebung der Frau als Gebärerin und Versorgerin des "artreinen" Nachwuchses, die aber nicht als gleichwertige Partnerin geachtet wird. Die Achtung der Natur bleibt unverbindlich, weil sie zwar auf besonderen Festen verehrt wird, ihre unaufhaltsame Einengung und Zerstörung aber nicht mit dem Charakter der Produktionsweise in Verbindung gebracht wird. In den rechtsorientierten Gruppen wird die Frauenverehrung stets auch an der Sorge um "Volk und Rasse" festgemacht, die durch die Frau rein erhalten werden sollen. Das neugermanische und neuheidnische Frauenbild sieht die Frau als Symbol der Erde und der Natur, aber nur als Volksmutter, Pflegerin der "reinen Rasse" und Retterin vor deren Bastardisierung. Viele theoretische Ansätze des rechtslastigen neugermanischen Heidentums sind mit Auffassungen der aus den USA stammenden, Ende des 20. Jahrhunderts auch in Europa populär gewordenen weltanschaulichen Bewegung des New Age eng verwandt. Vertreter dieser Philosophie gehen von einer Bewusstseinsrevolution am Ende des 20. Jahrhunderts aus, als deren Ausdruck das esoterische Geheimwissen um die Vergangenheit nunmehr den Menschen zugänglich wird. Mystik und Irrationalismus spielen für diese Richtung eine herausragende Rolle. Das bisher oder überhaupt nicht rational Erfassbare könne durch spirituelle Techniken und okkulte Praktiken den Menschen zugänglich gemacht werden. Ungeachtet ihrer Behauptung, eine unpolitische Bewegung zu sein, sind sie von Einfluss sowohl auf esoterische Weiblichkeitskonzepte als auch auf Führungskräfte von rechtsextremistischen Gruppierungen. Aus all dem versteht sich, dass die meisten dieser Vereinigungen autoritäre und hierarchische Strukturen aufweisen. Zur Politik der jeweils Mächtigen gehörten schon immer und überall Feindbilder, die es ihnen bei Bedarf ermöglichen, den wenig gebildeten, verzweifelten oder zornigen Armen und Ausgebeuteten einen Teil von Ihresgleichen als Ursache ihres Elends zu präsentieren, um sie daran zu hindern, dessen wahre Ursachen und Verursacher zu erkennen. Als Feindbilder eignen sich alle diejenigen, die in irgendeiner Weise von der Mehrheit abweichen. Dies konnten, wie bei den Hexenverfolgungen, Frauen sein, die mit dem dominanten Frauenbild nicht übereinstimmen, aufmüpfiger, unangepasster, klüger oder selbstbewusster waren als die übrigen, Privilegien und Macht von herrschenden Schichten gefährdeten. Bei den Nazis waren es Juden, Rom und Sinti, Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuelle und Christen, die nicht bereit waren, ihren Glauben den rassistischen Dogmen der Naziideologie anzupassen, die verfolgt, ausgegrenzt, misshandelt und physisch vernichtet wurden. In unruhigen Zeiten, in denen sich soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umbrüche vollziehen, Kriege vorbereitet werden, neue Schichten oder Gruppen die Herrschaft an sich reißen wollen, geraten Schichten und Gruppen bisher in relativer existenzieller Sicherheit lebender Menschen in existenzielle Gefährdung. Die Mächtigen und die an die Macht Drängenden benötigen dann "Feindbilder", die verhindern, dass sie selbst in Gefahr geraten, als Verursacher des wachsenden Elends und der Unsicherheit der Massen erkannt zu werden. Je nach dem Grad solcher Gefährdung der Mächtigen, je nach dem Ausmaß der Angst und Unwissenheit der vom sozialen Absturz, von Armut und Krieg Bedrohten können dann die Feindbilder zu Ausgrenzung und Unterdrückung bis zur physischen Vernichtung bestimmter sozialer, ethnischer, religiöser oder anderer Gruppen beitragen, in deren Folge auch massenhaft Menschen, die zu keiner dieser Gruppen gehören untergehen.
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