Nachhaltige Wechselwirkungen -
"Neue Arbeit" einst und jetzt.
Zu universalen und regionalen Aspekten
im Werk Johann Beckmanns (1739-1811)

Vortrag auf dem Internationalen Symposium
"Die Region im Spannungsfeld von Tradition und Moderne"
in Merseburg 08,.09.Oktober 1999

- von Annette Schlemm und Helga E. Lühmann-Frester - Version v. 12.10.99

Auf und in den Prospekten, die für die Stadt Merseburg und ihr schönes Umland werben, fällt eine Vignette ins Auge: ein Rabe in verschiedensten Posituren, ein bißchen vermenschlicht.. Merseburg hat seine Raben-Sage, die auf Bischof Thilo von Trotha (15. Jhd.) zurückgeht. Dieser ließ seinen Diener als den vermeintlichen Dieb eines goldenen Ringes köpfen, doch eines Tages wehte der Sturm das Nest eines Raben zur Erde; aus dem der vermißte Ring zum Vorschein kam. Tiefe Reue folgte; er legte den alten Schild seines Geschlechts ab und setzte den Raben mit dem Ring in sein Wappen. Es ziert zahlreiche öffentliche Bauwerke und dokumentiert die rege Bautätigkeit des Bischofs.

Dieser kleine regionale Bezug verdeutlicht, daß lokale Symbole wichtig sind für die Identität einer Region. Ob aus unserer Zeit in spätere Jahrhunderte mehr eingeht als Statistiken über Standortfaktoren, wird auch an uns liegen.

Im folgenden Beitrag diskutieren wir den Horizont, der unserer Meinung nach notwendig ist, um das Thema "Regionalisierung" nicht zu verfehlen. Es geht um aktuelle Tendenzen der Umstrukturierung der vorherrschenden Lebens- und Wirtschaftsweise. Was im regionalen Bereich geschieht, geschehen kann und geschehen sollte, läßt sich nur verstehen und angeben, wenn wir die global bestimmenden Tendenzen berücksichtigen. Interessanterweise ergibt sich aus genau jenen die Tendenz zur Dezentralisierung, auf die sich die Regionalisierung stützt.

Im Mittelteil des Vortrags skizzieren wir aktuelle Prozesse. Es kommt uns darauf an, deutlich zu machen, daß es immer verschiedene Möglichkeiten der weiteren Entwicklung gibt und auch nicht automatisch alles Neue fortschrittlich ist. Auch eigene Versuche, Prozesse neu zu gestalten, müssen immer wieder einer Selbstkritik unterworfen werden, um nicht wieder den Zwängen zu unterliegen, die man eigentlich überwinden wollte.

Eine Kernfrage neuartiger Lebens- und Wirtschaftsweisen, besonders im Kontext der Regionalisierung ist der Umgang mit "Arbeit". Wir diskutieren deshalb das Konzept "New Work" im Abschlußteil unseres.

1. Aktuelle Umstrukturierungen der Lebens- und Wirtschaftsweise

Es gibt tausende Einzeluntersuchungen über die geradezu revolutionären Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft. Schlagworte wie "Gobalisierung", "Post-Moderne", "Change Management", "Nachhaltigkeit" und "Zukunftsfähigkeit" verwirren eher, als daß sie ein klares Bild unserer Welt schaffen könnten.

Hier kann eine Erinnerung an die Methode, mit der Johann Beckmann arbeitete, sinnvoll sein.

 

 

Auch Beckmann lebte in der Zeit des Übergangs zu neuen Produktions- und Lebensweisen. Johann Beckmann (1739 - 1811) hatte nach einem höheren Bildungsweg mit universeller Bildung an der damals modernsten deutschen Universität (Göttingen) durch seine Reisen viele Kenntnisse erworben. Er verband im Norddeutschland wie im Ausland (Rußland, Schweden, Dänemark) naturwissenschaftliche Erkundungen mit dem Besuch wirtschaftlicher Objekte, setzte seine Kenntnisse aus Naturwissenschaft, Verwaltungswesen, Justiz und Wirtschaft miteinander in Bezug.

 

Abbildung 1: Johann Beckmann

Er nutzte die Reife der Produktion auf handwerklicher Basis, um sie - wie er es von Linné aus der Klassifikation der biotischen Arten abgesehen hatte - ebenfalls zu systematisieren. In der Unterschiedlichkeit der verschiedensten handwerklichen Künste erblickte er typische Gemeinsamkeiten, so daß das Verfertigen von Waren nicht mehr nur auf Vorschriften und Anweisungen des Meisters beruhen brauchten, sondern sich nun auf "gründliche Anleitung.... in systematischer Ordnung... aus wahren Grundsätzen" (Beckmann 1877) stützen konnte. Für diese Anleitung und Ordnung entwickelte Johann Beckmann die Technologie als Wissenschaft. Diese sollte nicht nur die Arbeitstechniken selbst enthalten, sondern auch "ihre Folgen und ihre Gründe vollständig, ordentlich und deutlich" erklären (ebd.).

Was würde Johann Beckmann mit dieser "synthetisierenden" Arbeitsweise heute in der Welt erkennen? Beckmann berücksichtigte ökologische und soziale Zusammenhänge bei seinen Studien über Technologie in dem Maßstab, wie sie sich damals auswirkten und überschaubar waren. Er hätte heute enorme Probleme, die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu überschauen. Es hat ja z.B. geradezu detektivischen Spürsinn gebraucht, den unsinnig langen Lebensweg eines Joghurtbechers nachzuvollziehen, um die ökologische Verschwendung zu dokumentieren. Aber sicher wäre Beckmann einer der ersten gewesen, der die ökologischen Folgen der Massenproduktion nicht langlebiger Güter aufgezeigt und kritisiert hätte.

Ökologische Erfordernisse

Nachdem in den 70er Jahren schon erste Warnungen über die "Grenzen des Wachstums" aufkamen, folgten in den 80er Jahren wissenschaftliche Studien (z.B. "Zukunftsfähiges Deutschland"), die zeigten, daß grundlegende Veränderungen unserer Produktions- und Lebensweisen notwendig sind.

Bis zum letzten Atemzug forderte uns Otto Gekeler - der Nestor der Johann Beckmann-Gesellschaft - noch im vorigen Jahr auf:

"Esperanza... Die weltweit fortschreitende Zerstörung der Lebensgrundlagen muß und kann dauerhaft beendet werden". Dies steht in energischer und prägnanter Schrift auf dem letzten Fax von ihm an mich.

Beckmann könnte jetzt, wie es eine der Autorinnen (Schlemm) auf dem Beckmann-Symposium 1997 in Jena vorgeschlagen hat, ausführlich recherchieren über die konkreten Maßnahmen und Möglichkeiten, die seither als Versuch der Entwicklung einer "nachhaltigen" Produktions- und Lebensweise entwickelt worden sind. Von der Seite der technischen Produktivkräfte her hat dies u.a. F. Vester getan und es ergibt sich eine typische Tendenz: Alle ökologischen Fertigungsmethoden und ihre Prinzipien fordern und befördern dezentrale Produktionsstrukturen (vgl. Vester). Auch die ökologisch vertretbaren nachhaltigen Energieumwandlungsmethoden sind nur dezentral einsetzbar. All diese Techniken werden überhaupt erst produktiv in dezentraler Anwendungsweise (vgl. auch der Vortrag von E. Oettel auf diesem Symposium).

Dezentralisierungstendenzen

Diese eine Tendenz in Richtung Dezentralisierung wird nun seit den 90er Jahren noch verstärkt durch einen anders verursachten Trend in die gleiche Richtung: Das Internet ist gleichzeitig zum Symbol wie auch zum realen Träger einer neuartigen Dezentralisierung wirtschaftlicher Handlungen geworden. Abgesehen von einer gewissen Aktienstreuung ist die wirkliche wirtschaftliche Macht noch eindeutig zentralisiert und konzentriert. Um jedoch im Gesamtproduktionsprozeß bis hin zum Absatz profitabel gegen die Mitbewerber bestehen zu können, nutzen auch die größten Konzerne die neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik. Die "Allokalisierung der Ressourcen" erfolgt betriebswirtschaftlich optimal jetzt über den ganzen Planeten verteilt. Der gesamte Wirtschaftsprozeß ist nur noch global möglich und seine Verflechtung ist nicht mehr wie zu Beckmanns Zeiten überschaubar.

Dies ist nicht nur durch die modernen Informations- und Kommunikations-Technologien befördert, sondern gleichermaßen durch neue Tendenzen in der Fertigungstechnik selbst. Modularisierung, Mehrfunktionalität und so weiter sind nicht mehr exotisch, wie 1984, als F. Vester solche Prinzipien als "biokybernetische" Produktionsprinzipien vorschlug, sondern Bestandteil der aktuellen produktionstechnischen Entwicklungen (vgl. Koch). Es werden adaptive Steuerungs- und Regelungssystemen entwickelt, ebenso autonome selbstoptimierenden Transportsystemen u.ä., was letztlich zur Möglichkeit einer automatisierten Kleinstserienfertigung und damit zur Abkehr von der üblichen Massenproduktion führt (Scholz-Reiter, Müller). Nur in neuartigen Organisationstrukturen können neue Produktivitätspotentiale entfaltet werden. Gleichzeitig stellt die Technik die Voraussetzungen dafür bereit, wie bspw. informationstechnische Multiagentensysteme zur verteilten Problemlösung in dezentralen Produktionsplanungs- und steuerungssystemen (Corsten, Gössinger).

Diese Dezentralisierung ist aber nie isoliert vom globalen Produktionsprozeß zu sehen, sondern nur von ihr getrieben und bestimmt.

Globalisierung

Trotz dieser Tendenzen zur Dezentralisierung ist die Macht der Größten und der Zwang aller Wirtschaftssubjekte, selbst immer größer zu werden, ungebrochen:

"Wenn die Wettbewerber immer größer werden, steht jeder unter Zugzwang, ebenfalls so schnell wie möglich zu wachsen, um den Anschluß nicht zu verlieren" (Selby, nach Deys-

son 1995, S. 96). Die dabei entstehenden Machtkonzentrationen verlieren sich auch nicht bei ihrer eigenen Dezentralisierung. Im Gegenteil - sie weiten sich aus. Zwar konnte im vorigen Jahr der Abschluß des Multilaterales Investitionsabkommens (Schlemm 1999a, S. 140ff.) verhindert werden, aber die Ziele seiner Befürworter sind noch nicht erledigt:

"Das MAI ist ein Abkommen der Regierungen, um die internationalen
Investoren und ihre Investitionen zu schützen und das Investitionsregime
zu liberalisieren. Wir werden uns jeder und allen Maßnahmen widersetzen,
für die Regierungen oder die Wirtschaft bindende Verpflichtungen in bezug
auf Arbeit oder die Umwelt zu schaffen oder auch nur zu implizieren"

(Präsident des US Council for International Business).

Diese Art und Weise der wirtschaftspolitischen "Neuaufteilung der Welt" hat für alle Regionen Konsequenzen:

Obwohl zwar die maßgeblichen Unternehmen inzwischen global agieren, müssen ihre Voraussetzungen (Infrastruktur, Bildung, Steuerbedingungen etc.) weiterhin regional/nationalstaatlich reguliert werden. Die stofflichen und sozialen Komponenten der Produktion unterliegen nicht im gleichen Maße wie die wertmäßig-monetären der Globalisierung (Altvater, Mahnkopf 1997, S. 27). Die dabei entstehenden Ungleichheiten und Verwerfungen führen zu neuen Konfliktformen, regionalem und sektoralem "neuen Protektionismus" und neuen politischen Segmentierungen (Deppe 1991, S. 79).

Widersprüchlichkeit der Regionalisierungstendenzen

Dadurch unterliegt alle Regionalisierung einer enormen Widersprüchlichkeit. Sie hat Anknüpfungsmöglichkeiten für ökologische und soziale Prozesse - und ihr positives Potential ist gleichzeitig gefährdet durch die übergelagerten wirtschaftlichen und politischen Machtstrukturen.

Abbildung 2: Trends in Richtung Dezentralisierung und mögliche Varianten ihrer Wirkungsrichtung

Im nördlichen Ruhrgebiet wird beispielsweise in einem "sozialpartnerschaftlichen Versuchslabor" ein Gewerbegebiet ohne Gewerbesteuern und einem einheitlichen, aber miserablen Tarifvertrag für die Beschäftigten realisiert. Damit ziehen die Bedingungen, wie sie bisher nur aus den Weltmarktfabriken in den Freihandelszonen der "unterentwickelten" Länder bekannt waren, auch bei uns ein. Unter schlechten sozialen Bedingungen sind dort wie hier die Menschen dann sogar froh, wenigstens zeitweise einen schlecht bezahlten Job zu erhalten. Wichtig zur Bewertung regionaler Entwicklungen sind deshalb die Fragen:

"Wer macht die Arbeit in der Region? Sind die Tätigkeiten in der Region entgarantiert, unterbezahlt und eher weiblich? Wo spielen Fragen der kulturellen Tradition, der Selbstorganisation, der Befreiung, gar ganz banal der Demokratie eine Rolle jenseits ihrer ökonomischen Funktionalisierung?...Verschärft das Vorhaben die Konkurrenz unter den Regionen und schürt damit noch das Standortdenken, statt es abzubremsen?" (Hüttner)

Wir haben in dieser kurzen Analyse mehrere Bereiche betrachtet: den technischen, den global-wirtschaftlichen sowie den sozialen, politischen und ökologischen. Damit haben wir eine sehr komplexe Problematik (vgl. Dr. Strauß auf diesem Symposium) vorliegen, bei der unterschiedliche Strategieebenen zu unterscheiden sind.

2. Neue Wirtschafts- und Lebensformen

2.1. Ökologisierung der Unternehmenspolitik?

Im Bereich der Unternehmen selbst hat sich das Umweltmanagement durch politische und rechtliche Auflagen inzwischen weitestgehend durchgesetzt. Es gibt Fortschritte u.a. bei der Erarbeitung von Umweltindikatoren im europäischen Bereich. Gleichzeitig jedoch ist die Tendenz ungebrochen und beherrscht die praktische unternehmerische Arbeit, daß immer mehr künstlich erzeugte Rohstoffe die Produktion bestimmen - herkunftsneutral, nicht kreislauffähig, nicht rückbindbar an natürliche Reproduktionszyklen. Damit wird die z.B. bei Johann Beckmann noch deutliche Orientierung an den natürlich vorkommenden Ressourcen in Regionen obsolet.

Die Daten für Luftschadstoffe und Oberflächengewässer sind besser geworden. Es wird aber weiterhin gewarnt vor der schleichenden Degeneration der Lebensgrundlagen - vor allem durch komplexe Wirkungszusammenhänge - Aber auch Enttäuschung wird formuliert. Auf einer Veranstaltung Ende September in Berlin vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und der Heinrich-Böll-Stiftung wurde von Klaus Töpfer festgestellt, daß durch die Globalisierung tatsächlich die befürchtete Verschiebung der Umweltbelastungen und Kosten aus den Industrieländern in die Entwicklungsländer eingetreten ist und es seit Rio de Janeiro zu keiner grundlegenden Trendwende gekommen ist.

"Wir waschen phosphatfrei - dafür etwas öfter, kühlen energiesparend und FCKW-frei -
daher mit Zweit-Kühlschrank und fahren mit Katalysator - dafür auch zum Briefkasten."
(Aßländer)

Aber auch in der "großen Politik" zeigt sich an der aktuellen Forderung des BDI-Präsidenten Henkel, die im Kioto-Protokoll zum Weltklimaschutz für die BRD vereinbarte Reduktionsquote für CO2 "nachzubessern", daß sich der Trend schon wieder gegen die Ökologie zugunsten der Industrie dreht (Weingärtner).

Allzu hohe Erwartungen auf diesem Gebiet verhindert auch eine genaue Betrachtung der Geschichte und der Planungen für die EXPO 2000. Alle Erwartungen, hier tatsächlich eine Trendwende hin zu mehr "Mensch und Natur" im Thema "Mensch-Natur-Technik" zu präsentieren, sind weitestgehend gescheitert. Auf der Expo werden "High-Tech wie neue Atomkraftwerke, viel Gentechnik, Reproduktionstechnologie usw. die vorgestellte Zukunft "wie ein Naturgesetz" (Zitat Expo-Beauftragter von Siemens) prägen. Die Zukunftsvisionen werden auch nicht als politisch zu diskutierende Vorschläge gezeigt, sondern als quasiwissenschaftliches Bild, wie es sein wird. Es wird auch bei der Art und Weise der Vorbereitung der Expo deutlich, daß nicht etwa die Menschen, sondern die Konzerne in ihren Forschungsabteilungen über die Zukunft der Gesellschaft bestimmen. Die technischen Trends werden nicht etwa verantwortungsvoll hinterfragt, sondern es soll lediglich Akzeptanz für sie erzeugt werden: "Der Mangel an Technikakzeptanz und die irrationale Diskussion über Technikfolgen sind schuld daran, daß viele Zukunftschancen in Deutschland verspielt werden." (EXPO-Beteiligungsgesellschaft der Deutschen Wirtschaft 1995).

2.2 Ökologische Alternativen

Einen radikal anderen Weg versuchen seit den 70er Jahren Bewegungen, die sich vom Paradigma des wirtschaftlichen Wachstums völlig abkehren. Als Nachhall der ´68er Bewegung entstanden ökologisch orientierte Alternativbetriebe (z.B. Schreinereien, Baubetriebe, Ökolandbau etc.), sowie Kommunen und Ökodörfer. Sie sind kulturell herausragend innovativ - ihre Wirtschaftstätigkeit jedoch fällt meist zurück in das Vormoderne, Traditionelle. Dadurch gedeihen sie maximal in Nischenbereichen der Wirtschaft. Gerade ihre Geschichte zeigt, wie schwer bzw. unmöglich es ist, die vorherrschende Wirtschaftslogik, bei der es nur um Gewinn und sogar Shareholder-Value geht, durch kleinräumige Alternativen "unterlaufen" oder "aufrollen" zu wollen.

Wie schon erwähnt, kulturell und sozial sind sie i.a. äußerst erfolgreiche Innovationen und sie spielen deshalb berechtigt eine wichtige, oft übersehene Rolle.

Wirtschaftlich haben sie jedoch unter den gegenwärtigen Bedingungen nur zwei Alternativen:

  1. Sie integrieren sich in die Weltmarktökonomie - mit allen Nachteilen wie Selbstausbeutung usw. : "Aber der alternative Charakter beschränkte sich dabei von vornherein auf den sozialen Binnenraum eines warenproduzierenden Unternehmens. Die gesellschaftliche Vermittlung dagegen lief "selbstverständlich" über den Markt, auf dem die Produkte der Genossenschaft oder des Alternativbetriebs abzusetzen waren." (Kurz)
  2. Autarkie: "Sozialökonomische Autarkie wäre keine gesellschaftliche Keimform, sondern eine im schlechten Sinne selbstgenügsame Endform, die das Niveau der Vergesellschaftung und der Produktivkräfte weder halten kann noch will; sie würde auf eine noch tiefere Stufe als die Modelle kleinbürgerlicher Warenproduktion herabsinken" (Kurz).

2.3. "Mittelweg": Regionalisierung der Wirtschaft

In den Regionen treffen sich das Globale und das Lokale. Wie schon erwähnt, bedürfen die global agierenden Konzerne regional bereitgestellter "Standortbedingungen". Andererseits haben die Regionen immer weniger von ihren "Investitionen" und werden in großem Maße für die Investitoren uninteressant und sich selbst überlassen. Die international bekanntesten Regional(-unter-)entwicklungsgebiete sind jene - z.B. in Großbritannien oder Detroit in den USA - , in der im Rahmen der Umstrukturierungen in der Produktion die "moderne" Massenproduktionswirtschaft niederging und die neuen "Dienstleistungs-Center" usw. nicht im erwarteten Maße Fuß gefaßt haben. Die entsprechenden Gebiete in der Ex-DDR sind da nur ein Sonderfall, der aber weltweit vom Prinzip her keine Ausnahme bildet.

Letztlich bleibt den Regionen gar nichts anderes übrig, als sich auf die eigenen, übriggelassenen Ressourcen zu besinnen - mal abgesehen vom "Run" auf die entsprechenden Fördermittel. Dr. Mondelaers schilderte auf diesem Symposium zwei typische unterschiedliche Herangehensweisen: Eine Gruppe lokaler Akteure schaut sich an, welche Fördermittel u.a. die EU zur Verfügung stellt und macht dann irgendetwas, wofür sie Geld beantragen können. Die andere Gruppe geht von ihren eigenen Vorstellungen und Plänen aus und sucht sich dann die entsprechenden Fördermöglichkeiten. Jede/r von uns wird entsprechende Beispiele kennen, ob von der ersten oder zweiten Art, ist eine andere Frage. Wie würde es Johann Beckmann tun? Er forderte in der Vorrede zu seinen "Anleitungen zur Technologie", folgende Fragen zu überlegen: "welche Gewerbe fehlen unserm Vaterlande; welche von den fehlenden könten mit Vortheile eingeführt werden; woher nimt man dazu Materialein; woher hohlt man dazu Künstler, wo ist der schicklichste Ort, den man ihnen anweisen soll; was hält die Handwerke, die wir haben nieder; wie kann ihnen geholfen werden; wie viel trägt jedes zum gemeinen Besten bei." Interessant ist, daß er unter dem "gemeinen Besten" eben nicht irgendeine Wettbewerbsfähigkeit verstand - wir werden darauf zurückkommen.

Eine andere wichtige Methode Beckmanns könnte wieder verwendet werden:

Beckmann studierte zuerst jene Zusammenhänge von Landwirtschaft, Polizei und Kameralwissenschaften in seiner nächsten Umgebung, dann in weiteren Umkreisen. Gleichermaßen untersucht er auch die einzelnen Wissenschaften einzeln. Dann jedoch kombiniert er alle Untersuchungsergebnisse und leitet Rückschlüsse für den Bereich des gesamten Staates ab. Dies widerspricht ein wenig den modern gewordenen "freien Marktkräften" und unterliegt dem "Planwirtschaftsvorwürfen" - aber gerade die Regionalentwicklung steht vor der Aufgabe, tatsächlich mehr als "Standort" beliebiger Unternehmen zu sein. Im Unterschied zu Beckmanns Ansicht, daß die Einzelnen im Staat tatsächlich nur Rädchen im Getriebe zu sein haben, wissen wir heute, daß sogar jede Arbeitskraft heutzutage gefordert ist, im Unternehmen übergreifend zu agieren und im Rahmen des Total Quality Management sogar ihren Beitrag zur Navigation seines Unternehmen im Markt zu leisten.

Wenn wir die aktuelle Situation betrachten, fällt auf daß die freigewordenen/freigelassenen/entlassenen Ressourcen vor allem die Menschen, ihre Fähigkeiten, ihre Bildung und ihre Kompetenzen. Ohne die entsprechenden Produktionsmittel sind diese freien Arbeitskräfte, wie schon Marx erkannte, allerdings wie eh und je eine "Reservearmee" mit der Einschränkung, daß sie auch als Reserve seit Marxens Zeiten inzwischen weitestgehend überflüssig geworden sind. Als neue Ressource, die im Rahmen der Konzepte der Regionalentwicklung noch weitgehend unausgeschöpft sind, wirken allerdings die modernen Informations- und Kommunikationstechniken. Hier reicht es bei weitem nicht aus, nur Web-Seiten für regionale Unternehmen zu ermöglichen.

Aber sogar, wenn die Regionalentwicklungskonzepte Arbeitskräfte und regional beschaffbare Produktionsmittel (als Ersatz für die Unternehmer) zusammenbringen, bleibt das Problem der dauerhaften und stabilen Verwertung der Arbeitsleistungen prekär.

Auch die regionalen Entwicklungskonzepte haben das Problem, daß es sehr schwer für ihre Initiativen sein wird, auf dem Weltmarkt Nischen zu finden. Die Orientierung auf den regionalen Markt beschränkt sich dann aber auch wieder auf einige Branchen - aber sogar dabei, wie z.B. beim ökologischen Landbau, stehen sie in Konkurrenz zu den oft wesentlich billigeren Weltmarktprodukten (wie Säften).

Am Beispiel des derzeit angestreben Gebiets des "Großen Westens" in Frankreich wird deutlich

  • daß auch ein Region zur Wettbewerbsfähigkeit wohl an die 8 Millionen Personen braucht, und
  • diese Art Regionalisierung schon vom Ziel her eindeutig NUR die Wettbewerbsfähigkeit der Region im europäischen und Weltmaßstab anstrebt und explizit auf ökologische und emanzipative Zielstellungen - soweit mir bekannt - verzichtet.

Der Weltbankpräsident fordert inzwischen jedenfalls mehr, und zwar: "Wichtig ist... über traditionelle Konzepte für das Wirtschaftswachstum hinauszugehen und die Menschen - ihre Gesundheit, ihr Wohlergehen, ihre Erziehung, ihre Chancen und gesellschaftliche Entwicklung in den Mittelpunkt der Entwicklungsagenda des neuen Jahrhunderts zu stellen" (Wolfensohn). Prinzipiell ist dazu Folgendes zu sagen:

Solange Menschen existentiell erpreßbar bleiben (solange ihnen also nicht die grundlegenden Lebensvoraussetzungen und Produktionsmittel gehören), können sie die Ziele ihrer Lebenstätigkeit nicht selbst bestimmen, sondern sind auf fremdbestimmte "Arbeitsplätze" - ob privat oder öffentlich finanziert - angewiesen. Weltweit verschlechtern sich diese Bedingungen gerade akut, denn die Weltwirtschaft unterwirft gerade die stofflichen Grundlagen des Lebens in Form von Bio- und Gentechnologie ihren Verwertungsprinzipien und enteignet damit weitere Milliarden von Kleinbäuerinnen und -bauern auf der ganzen Welt! Der Kampf um Rückeroberung der Ressourcen muß deshalb verbunden werden mit dem weltweiten Kampf gegen diese neuen Enteignungen.

Manchmal werden auch durch Förderprogramme, wie in Hulme/Manchester sogar durch lokale Verwaltungsbehörden erst frühere bisher selbstorganisierten Strukturen im Namen eines "City Challenge" zerstört (Baker).

Beispielhaft für innovative Versuche, Regionalentwicklung mit eigenen Ressourcen und neuen, ganzheitlichen Konzepten zu verwirklichen, ist bekanntermaßen die Region Dessau-Bitterfeld - hier brauchen wir sicher keine Eulen nach Athen zu tragen. Aus Thüringen möchte ich nur kurz den "Reinstädter Landmarkt" erwähnen, auf dem sich verschiedene Landbau- und Handwerksunternehmen zusammengetan haben und z.T. versuchen, in direkten Austausch - unter Ausschließung der DM - zu kommen. Die entsprechenden regionalen Tauschringe überlegen zur Zeit, ob und wie sie sich hier eventuell einbinden wollen.

Ich möchte auf die beiden in der Abbildung 2 widerstreitenden Tendenzen zurückkommen. Regionalentwicklung kann manchmal nur ein Etikett dafür sein, die Armut lediglich weiter zu verwalten und kurzzeitig Menschen über Monate und Jährchen zu bringen. Viele ABMs, die ich selber kenne, haben lediglich einen solchen Charakter. Es wäre hier wichtig, zwar diese kurzfristig notwendige Überlebenshilfen zu leisten - aber insgesamt strategisch einen größeren Horizont zu entwickeln und die Ressourcn u.a. dafür zur Verfügung zu stellen, autonome, sich selbst bestimmende und organisierende neuartige Lebens- und Wirtschaftsweise(N!) zu entwickeln. In anderen Ländern ist man hier oft offensiver mit der Abkopplung von einer Weltwirtschaft - die doch nur die Ressourcen profitabel vernutzt und die Region dann wieder brach liegen läßt. Dort wird die Erzeugung einer "lokalen Ökonomie, so stark und unabhängig, daß sie eine Alternative zum Weltsystem wäre" (Douthwaite) gefordert. Wenigstens verlangt jetzt die EU, wie Dr. Mondelaers hier berichtete, ein begründetes Regionalenwicklungskonzept und bereits entwickelte lokale und regionale eigenständige Strukturen, bevor Fördermittel für die Regionalentwicklung ausgereicht werden. Dies erschwert jenen, die zuerst nach dem Geld schauen, den Zugang und fördert endlich konzeptionelle Überlegungen.

Bisher ist die Realität, besonders in den neuen Bundesländern ja dadurch geprägt, daß internationale Großkonzerne für "Investitionen" vor Ort Milliardengeschenke erhalten, während alternative Projekte ihre Projektziele so lange umdefinieren müssen, bis sie in den jeweiligen "Bettel"-Antragsrahmen passen. Eine traurige Erfahrung ist oft, daß auch im Rahmen von Regionalentwicklungsprozessen die Gewinne lediglich privatisiert und nur die Kosten vergesellschaftet werden, indem die Region Infrastruktur, Fördermittel, geschulte und motivierte Arbeitskräfte usw.usf. zur Verfügung stellt - in der vagen Aussicht auf "Arbeitsplätze".

Wenn wir alle uns bekannten Projekte gedanklich Revue passieren lassen, ob der Horizont von Emanzipation und wirklicher Ökologisierung der Produktion wenigstens angezielt wird außer der umittelbaren Alimentierung der Arbeit, dann können wir Bilanz ziehen... Nur, wenn wir das Wissen um diese Probleme nicht verdrängen, sondern uns ihnen bewußt bleiben, können wir ihnen auch begegnen. Deshalb betone ich dies heute auch etwas pronounciert. Auch in der Selbstdarstellung des Vereins "Neue Arbeit e.V." für das Projekt ReWIR 2000 wird die Gefahr angesprochen, daß man eventuell lediglich "die Selbstorganisation im sozialen Ghetto" organisiere.

Die Spannweite des Horizonts für ein Engagement in der Regionalentwicklung kann verschieden groß sein:

  1. Abfederung sozialer Krisen (ABM-Stellen verwalten, Vermarktung für regionale Unternehmen unterstützen, Symptomverbesserung im Umweltbereich, ...etc.)
  2. Strukturelle Verbesserungen innerhalb der gegebenen Grundstrukturen erreichen (Infrastruktur entwickeln, Genossenschaften und Kooperativen (keine kapitalistischen Unternehmen!) gründen, New-Work-Zentren einrichten...
  3. Die gegebenen Grundstrukturen verändern: neue Wirtschaftsziele definieren: statt Profiterwirtschaftung und Geldvermehrung - regionale, bedürfnisbefriedigende und ökologisch verträgliche Wirtschaftskreisläufe schaffen: regionale Währung einführen, neue Arbeits- und Lebensstrukturen ermöglichen (Ökodörfern Ressourcen überlassen etc.)... Diese Horizonte müssen im Alltag der entsprechenden Projekte immer wieder verdeutlicht werden. "Weitere, langfristige Veränderungen der Gesellschaft können und sollen durch unser Projekt angeregt werden" - plant die Initiative ReWIR 2000 vom Verein "Neue Arbeit e.V." in diesem Sinne.

3. "New Work"

Es ist gut, daß gegen übertriebene Technik- oder Antitechnikorientierung die menschliche Arbeit wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerät. Das Wort "Arbeit" wird i.a. viel zu undifferenziert eingesetzt. Klar, die Arbeit "schafft den Menschen". Nur durch ihn gewinnt sein Leben Sinn. Dieser Inhalt steckt bspw. im englischen Wort "Work". Jedoch kennt das Englisch auch "labour", was eher den Inhalt von Fronarbeit, aufgezwungener Arbeit, fremdbestimmter Arbeit hat. Auch die "Arbeiten" in "Jobs", die wir in der modernen Gesellschaft ausüben, enthält beide Aspekte - allerdings für viele jeweils nur einen sehr stark ausgeprägt.

Im Englischen ist eine bessere Differenzierung der Sprache möglich. Hier gibt es "WORK" als nutzensorientierte Tätigkeit, während im "LABOUR" eine inhaltliche Desorientiertheit der Arbeiter, ihre Fremdbestimmtheit im "Job" enthalten ist. Wenn gefordert wird "Recht auf Arbeit", sollte deutlich werden, was man damit will: 1. die Erarbeitung des Lebensunterhalts, wozu auch Labour-Jobs leider noch dienen oder 2. die "Arbeit" als Lebenszweck, als das Wesen des Menschen schaffende und erhaltende Tätigkeit. Dem zweiten Inhalt steht LABOUR allerdings oft geradezu entgegen -besonders die in den "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen".

Zu Johann Beckmanns Zeiten dominierte das gebrauchswertorientierte "Werken" noch eindeutig gegenüber dem "Arbeiten". "Werken hieß soviel als arbeiten und verfertigen... welches Wort sich in noch mehren Zusammenhängen erhalten hat, z.B. Werkstelle, Werktisch, Feuerwerk, Feuerwerker. So haben auch unserer Vorfahren diese Wörter verstanden."

Heute wird das, was als Arbeit dominiert (die Lohnarbeit) - grob gesprochen - nur bezahlt, wenn der Investor mindestens mehr Gewinn erwirtschaftet als bei einer Börsenspekulation - unabhängig vom potentiellen Nutzen der Güter für Bedürfnisse von Menschen. Aber abgesehen davon sinkt der Bedarf an lebendiger Arbeit (als Lohn-Arbeit) auch durch die enorme Steigerung der Produktivität. Viel weniger Arbeitskräfte schaffen viel mehr Güter und Dienstleistungen. Die Jahresarbeitszeit ist tendenziell schon enorm gesunken und nach verschiedenen Berechnungen würde es ausreichen, wenn jeder Mensch ca. 5 Stunden pro Woche (!) mit hoher Produktivität arbeiten würde, um die Dinge zu produzieren, die wir zum Leben brauchen.

Von der Gebrauchswertseite ist die Rentendiskussion eigentlich gegenständslos! Es reichen viel weniger Nachkommen mit viel weniger Arbeitszeit, um die Lebensbedürfnisse aller zu befriedigen. Daß erstens oft nicht diese Güter hergestellt werden und sie zweitens nach anderen Kriterien als dem Bedürfnis verteilt werden, hat andere Gründe als nicht ausreichende Arbeitsleistung!

Auf dieser Grundlage ist spätestens die Voraussetzung gegeben, mit der Lebenszeit anders umzugehen, als sich zu bemühen, sie lediglich in Arbeitszeit umzuwandeln. Dabei darf die wirtschaftliche Grundlage natürlich nicht verlorengehen.

Es mag revolutionäre Konzepte einer grundlegenden Umgestaltung des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems geben - sie sollen heute nicht das Thema sein. Ein Konzept, das eher reformerisch-kontinuierliche Übergänge zu neuen Lebensformen auf der vorhandenen Grundlage vorschlägt, ist das Konzept "New Work".

Das "Center of New Work" in Flint entstand auf Initiative des Philosophieprofessors Frithjof Bergmann aus der Not der damaligen Massenentlassungen dort heraus. Das Konzept "New Work" (siehe Abb. 3) geht von dem Gegebenen aus und versucht, neue Orientierungen in neue Lebenskonzepte einzubringen und damit reale gesellschaftliche Veränderungen zu erzeugen. Die "Arbeit" wird in drei Bereiche unterteilt:


Abbildung 3: Konzept "New Work"

  1. Erwerbsarbeit als "Job" wird es weiterhin geben müssen; sie ist aber in ihrem Ausmaß und der Bedeutung für das Leben des einzelnen reduziert. Dies wäre angesichts der enormen Steigerung der Arbeitsproduktivität und der strukturellen Massenarbeitslosigkeit sinnvoll, wird aber konterkariert von der Realität, in der die noch Arbeitenden sich fast totschuften müssen.
  2. Die durch reduzierte Erwerbsarbeit eingesparte Zeit kann einerseits verwendet werden bei Tätigkeiten zur Selbstversorgung in Gemeinschaft, wobei Bergmanns Konzept auch hier hohe Arbeitsproduktivität voraussetzt. Er sieht hier enorme Möglichkeiten durch intelligente Technologien in gemeinschaftlicher Nutzung (z.B. bei den Bioblocks, die auf städtischen Brachflächen Gemüsekulturen ermöglichen (Bergmann 1998)). Dies wird i.a. nicht dem Selbstlauf überlassen, sondern durch Stiftungen und Vereine gezielt initiiert und betreut.
  3. Der meist als letzte genannte, manchmal sogar vergessene, aber für Bergmann wichtigste Teil ist jener Tätigkeitsbereich, bei dem die Menschen tun dürfen, "was sie wirklich, wirklich tun" wollen, die sog. "Berufungsarbeit". Überhaupt erhalten sie hier erst einmal den Freiraum, dies herauszufinden zu können. Manche dieser Tätigkeiten führen zu erfolgreichen Existenzgründungen, aber dies ist nicht das Hauptziel. Oft fließen die hier erweiterten Kenntnisse und Persönlichkeitsausprägungen in die anderen Eigenarbeits- und Job-Tätigkeiten bereichernd ein. Aber viel wichtiger ist die Befreiung des menschlichen Lebens aus fremden Zielvorgaben - die Freisetzung von Zeit zur Kreativitätsentfaltung für alle Menschen

Dieser letzte Teil geht allerdings bei den mir bekannten Projekten ziemlich verloren, obwohl er der einzigste Grund für mich ist, dieses Konzept zu propagieren (z.B. Schlemm 1999b).

Diese sehr flexiblen Grundsätze fallen seit ca. 2 Jahren auch in Deutschland auf recht fruchtbaren Boden. Seit Monaten tauchen mehr und mehr Presse- und Internetberichte über "Arbeit für Wolfen", über den Verein Neue Arbeit e.V. der Stiftung Bauhaus Dessau und einen "Förderkreis neue Arbeit". Auch Unternehmer stehen diesem Konzept nicht unbedingt abweisend gegenüber (Kippels). Sie können die ansonsten bei Entlassungen als Abfindungen etc. fälligen Beträge in eine Stiftung einbringen, über die die Mitarbeiter die Self-Providing- und Calling-Aktivitäten realisieren oder entsprechende Verträge vereinbaren. Im Gegenzug erhalten die Unternehmen motivierte und gebildete Mitarbeiter, wie sie heutzutage in der modernen Produktion immer notwendiger sind. Da es in der Bundesrepublik eine lange Tradition selbstverwalteter Betriebe gibt, erscheint ihnen das Konzept von F. Bergmann auch gar nicht so "neu". Am lebendigsten sind jene Projekte, die auf der Basis vorheriger sozialer und ökologischer Projekte entstanden sind wie der Bildungs- und Gegenseitige Unterstützungsverein in Bremen und das Institut der Neuen Arbeit (INA e.V.), das auf Grundlage der Sozialistische Selbsthilfe Mühlheim (SSM) entstand.

Eine wichtige Erfahrung in diesem Prozeß ist meiner Meinung nach, daß dieses Konzept dann am lebendigsten wird, wenn es von einer Gruppe engagierter und betroffener Menschen selbst aufgegriffen und weiterentwickelt wird, wie bei INA - im Gegensatz zu jenen Projekten, die das nur als neuen Namen für althergebrachte ABM-Trägerschaft benutzen.

Zusammenfassung:

So wichtig praktische Beispiele auch immer wieder sind - es bedarf auch einer überlegenden Analyse von Umfeldtendenzen und Bedingungen, um eigene Ziele erreichen zu können. Wir können uns dabei vor allem methodisch an Johann Beckmann anlehnen, der für die damalige Zeit eine wirklich umfassende Übersicht über die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft und ihr Zusammenwirken hatte. Gleichfalls jedoch sind inhaltlich grundlegende Unterschiede auszumachen.

In der heutigen Zeit wirken nicht nur Regionen verschiedener Reichweiten aufeinander ein, sondern ein globales Wirtschaftsnetzwerk steht den Bemühungen von Regionen oft eher gegenüber, als daß es sie unterstützt.

Es wirken neuartige Technologien, auf deren Grundlage sich die Arbeitsorganisation und Arbeitsinhalte grundlegend ändern. Wenn nicht gleichzeitig auch der Zweck der Arbeit wieder an den Nutzen für Mensch und Natur zurückgebunden wird, entstehen daraus Tendenzen, die auch Regionalentwicklungskonzepten negative Züge aufprägen können. Dieser Beitrag diente vor allem der Verdeutlichung dieser Gefahren, was aber nicht die Anstrengungen der beteiligten Akteure abwerten will, sondern sie umso höher schätzt, je besser sie sich diesen Problemen stellen.

"Es ist immens viel zu tun!" gab uns Otto Gekeler in seinem letzten Fax dazu mit auf den Weg.

Literatur:
Altvater, E., Mahnkopf, B., Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik der Weltgesellschaft, Münster 1997
Aßländer M., Probleme einer nachhaltigen Entwicklung. Vom Beinahe-Königsweg in eine fast-ökologische Zukunft, in Sic et Non 1996
Baker, Ch., Bewohnerbeteiligung und genossenschaftliche Organisation in der Stadtteilsanierung von Hulme/Manchester, in: Wirtschaft von unten. People´s economy, Dessau 1996
Beckmann, J., Anleitungen zur Technologie, Göttingen 1877
Bergmann, F., The Detroit Eastside Bioblock Project, in: Internet: http://www.vcn.bc.ca/newwork/dbiobl.htm(1998)
Corsten, H., Gössinger, R., (Hrsg.), Dezentrale Produktionsplanungs- und steuerungs-Systeme, Stuttgart, Berlin, Köln 1998
Deppe, F., Jenseits der Systemkonkurrenz. Überlegungen zur neuen Weltordnung, Marburg 1991
Deysson, C., Lang nachdenken, in: WirtschaftsWoche Nr. 40 /28.9.1995
Douthwaite, R., Unsere Vorstellungen ändern - eine andere Ökonomie aufbauen, in: Wirtschaft von unten. People´s economy, Dessau 1996
Hüttner, B., Der Traum ist aus. Für eine dekonstruktive Politik des Regionalen, in: Forum Wissenschaft, Nr. 3, Juli 1999, S. 43-48
Institut für Neue Arbeit e.V. im Internet:
http://www.thur.de/philo/ina.htm
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