Rolf Kohne:

Zur Diskussion um Christoph Spehr's "Freie Kooperation"

CS macht m.E einen Denkfehler, wenn er meint, Menschen seien bereits dann und nur dann frei und gleich, wenn sie die Regeln all ihrer Kooperationen frei und gleich aushandeln konnen, "und zwar zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis".
Das Problem ist der Preis!

Erster Gedanke dazu:

2 Menschen kooperieren und haben dabei beide den Vorteil x. Nun kommt ein Dritter, der ebenfalls durch Kooperation einen Vorteil haben mochte. Die beiden ersteren werden nur dann sicher mit ihm kooperien, wenn sie dadurch einen zusatzlichen Vorteil y haben. Also die ersten beiden haben nun jeweils den Vorteil x+y. Welchen Vorteil hat aber nun der neu hinzugekommene Dritte?

Unter der Ausstiegsbedingung "vergleichbarer Preis" kann er nur den Vorteil y hinzugewonnen haben, denn nur dann ware der Preis seines Ausstiegs -y. Damit ware Gleichheit aber passee, denn Mensch 3 hat nur denn +y, wahrend die anderen beiden den Vorteil x+y haben,

Ware, im anderen Fall, der Vorteil der 3er-Koperation fur alle x+y, dann ware eben der Ausstiegspreis ungleich, weil -x-y, wahrend die verbleibende 2er-Kooperation immer noch den Vorteil x erbrinft, also nur den Preis -y zahlt.

Die Spehr'sche Bedingung geht nur auf, wenn Mensch 3 unabhangig davon, ob er kooperiert oder nicht, bereits von der 2er-Kooperation profitiert, also auch den Vorteil x hat und nicht davon ausgeschlossen werden kann.

Ein Blick von der Abstraktion in die Realitat zeigt: Beim Linux-Projekt war genau das gegeben. Alle Menschen haben profitiert, je mehr Menschen kooperiert haben, umso besser wurde das Projekt. In einem solchen Projekt spielt es auch keine Rolle, ob dort ein "Quertreiber" ist. Wenn einer nichts mehr beitragt, wird er auch nicht mehr beachtet.

Zweiter Gedankengang

In der Realitat ist zu beobachten, daß Menschen ohne Zwang Kooperationen beitreten, die im Spehr'schen Sinne nicht frei sind, weil sie feste Regeln haben. Dies sind z.B. Vereine und Parteien. Diese Form von Kooperationen bringen dem einzelnen in der Regel den Vorteil x=f(n), wobei f als stetig wachsende Funktion der Anzahl n der Kooperationsmitglieder angenommen werden kann. Die Kooperationsmitglieder haben so ein Interess an Mitgliederzuwachs, ein Einzelner wird beitreten, wenn er den Vorteil x fur sich als Vorteil einschatzt. Der Preis des Ausstiegs ist aber hochst ungleich: der Einzelne zahlt den Preis -x, alle anderen den Preis -dx (Differentialrechnung!). Es ist deshalb vollig naturlich, daß sich in einer solchen Kooperation demokratische Regeln durchsetzen und "Quertreiber" ggf. ausgeschlossen werden. Dennoch sind die Menschen in einer demokratischen Kooperation frei und gleich.

Dritter Gedankengang

Daß CS demokratische Kooperation nicht als frei und gleich anerkennt, liegt daran, daß der sich um die Okonomie keine Gedanken macht. Menschen sind aber erst sekundar soziale Wesen, primar sind sie Korperwesen, die gezwungen sind, sich durch Arbeit Lebensmittel zu verschaffen. Menschen sind primar zwar gleich, aber zunachst ziemlich unfrei. Wie die Geschichte zeigt, waren sie aber durch Kooperation (Arbeitsteilung) und Akkumulation von Wissen etc. in der Lage, diese Unfreiheit zu minimieren. Es gibt also ein Reich der Notwendigkeit und ein Reich der Freiheit. Es kommt daher darauf an, das Reich der Notwendigkeit zu minimieren. Es ist offensichtlich, daß hier Begriffe wie volkswirtschaftliche Effizienz und Produktivkraft der Arbeit eine wichtige Rolle spielen.

Schlußfolgerung

Menschen sind dann frei und gleich, wenn sie die Notwendigkeiten entsprechend der gemeinsamen Produktivkraft gleichermaßen individuell minimieren konnen, und wenn sie je nach Zweckmaeßigkeit durch freie oder demokratische Kooperation die gemeinsame Produktivkraft mindestens erhalten und moglichst maximieren.

Der Wert der Spehr'schen Arbeit liegt deshalb m.E. hauptsachlich darin, daß man auf dem Weg dorthin "erzwungene" Kooperationen, den wir vielfach ausgesetzt sind, befreien mussen, und nicht in den Fehler zu verfallen, das Ziel durch "erzwungene" Kooperationen "neuen Typs" zu ersetzen. Eine konkrete Handlungsanleitung ist das abar noch lange nicht, sondern eher eine Anleitung, welche Handlungen zu vermeiden sind.

Schlußbemerkung:

Trotz dieser Kritik finde ich die Spehr'sche Arbeit sehr gut. Sie hat den Rosa-Luxemburg-Preis verdient. Das sie ihn bekommen hat, verwundert mich viel mehr. Soviel Radikalitat hatte ich diversen Juryisten nicht zugetraut.

mit sozialistischem Gruß
Rolf Kohne
Landesvorsitzender
PDS Niedersachsen

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