Hoch die weltweite Selbstentfaltung!

Russell Means:
Es gibt eine Faustregel, die man hier anwendenkann. Der wahre Charakter einer europäischen Revolutionstheorie läßt sich nicht aufrund der Veränderungen, die sie innerhalb europäischer Machtstruktur und Gesellschaft anstrebt, beurteilen, sondern nurnach den Auswirkungen auf nicht-europäische Völker.
Bisher nämlich diente jede europäische Revolution dazu, Tendenzen und Kräfte in Europa zu verstärken, die anderen Völkern, anderen Kulturen und der Umwelt selbst Zerstörung bringen. Ich möchte denjenigen sehen, der mir ein Beispiel aufzeigen kann, wo dies nicht der Fall ist.

(Die natürliche Ordnung wird sich durchsetzen, Druck von Aktion FriedensTipi Osnabrück, S. 23)

Oekonux-Ökonomie

Ein Blick in die Welt hinein straft alle Volkswirtschaftslehre-Bücher über komparative Vorteile für alle Länder in einer kapitalistischen Wirtschaft Lügen. Auch die Verbreitung moderner Technologien kann das nicht prinzipiell ändern. Die Rede vom "Globalen Dorf", eins fast als Utopie verkündet, ist enttäuscht:

"Die Welt ist ein globales Dorf? Dann kommen auf ein Landhaus drei Jauchegruben. Und in den Villen bröckelt der Putz." (Gremliza 1996)

Der Zustand der Welt

Ca. 800 Millionen Menschen hungern immer noch. Es wird eingeschätzt, daß ca. 335 Millionen Menschen, das sind etwa 5 % der Weltbevölkerung, aufgrund von Katastrophen und Verwüstungen ihrer Lebensgrundlagen aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlassen mußten. (Ling 2001). Seit die "2. Welt" sich fast vollständig der "3. Welt" hinzugesellt hat,. und auch territorial keine eindeutige Zuordnung von Gewinner- und Verliererkontinenten mehr auszumachen ist, ist es schwer geworden, die Unterdrückten dieser Erde irgendwie als Gemeinsame zu bezeichnen. Untereinander sind sie ja auch überhaupt gar nicht einheitlich. LohnarbeiterInnen, Erwerbslose, Hausfrauen, sog. "kleine Selbständige", Flüchtlinge, im Krieg Leidende, Gefolterte.... Zum Elend aus Armut und Ausbeutung gesellt sich die Bedrohung durch ökologische Desaster, die auch meist zuerst jene Menschen trifft, die sich nicht in schützende Gebiete zurückziehen können und ihre Häuser mit Hilfe von Versicherungen neu aufbauen können... Die ökologischen Veränderungen schaden jenen Menschen am meisten, die durch ihre Subsistenzlebensweise am abhängigsten von einem funktionierenden Ökosystem sind und ihm selbst am wenigsten schaden. Wie kann es weiter gehen? Das kapitalistische Entwicklungsmodell ist z.B. in Kenia und Elfenbeinküste gescheitert, auch das "realsozialistische" Modell erwies sich als nicht geeignet (Zaire/Kongo, Madagaskar). Auch das Bestehen auf eigenständigen Traditionen (Tansania) war nicht erfolgreich.

Technokratische Beherrschung: der Probleme und der Menschen

Unter den Herren dieser Welt gibt es ja sogar einige, die sich wirklich verantwortlich fühlen für den Zustand der Welt. Ihnen fallen jedoch nur neuen Formen der Weltbeherrschung als Lösung der Probleme ein. Speziell Al Gore, die "bessere Alternative" gegenüber George Bush, "vertritt eine globalistische technokratische Vision. Nicht die Demokratisierung der Gesellschaft und die Auflösung geballter Machtzusammenhänge stehen im Mittelpunkt seines Programms [wer hätte das auch ernsthaft erwartet, A.S.], sondern die Einführung neuer Technologien durch eine zent-ralstaatlich organisierte Bündelung der Interessen von Industrie, Wissenschaft, Militär und parla-mentarische Instanzen." (Reinhardt 1997, S. 27)

Neue technologische Entwicklungen im Kapitalismus

Hoffnungen auf eine nachholende Entwicklung, also die Entwicklung einer Industrie mit weitestgehender Vollbeschäftigung und ein wachsender Wohlstand, sind nicht nur deshalb irreführend, weil die Herrschenden dies nicht wollen, sondern weil sich die Grundlage, auf der es teilweise für einige Länder möglich war, sich so zu entwickeln, verändert hat. Früher wurde aus den Kernländern des Kapitalismus lohnintensive Produktion in Niedriglohnländer ausgelagert - für diese bedeutete das Arbeit, teilweiser Wohlstand und teilweise Industrialisierung ("verlängerte Werkbank". Die früher real-sozialistischen Länder hofften, sich hierdurch sanieren und einigermaßen vernünftig weiter existieren zu können. Durch den vermehrten Einsatz der Informationstechnologie und die Automatisierung kam es aber dazu, daß für die Industrieländer die Bedeutung der Lohnkosten wieder sank und auch für just-in-time-Produktion war eine räumliche Entfernung eher ungünstig. Schon in den 80er Jahren kam es deshalb zu einer massiven Rückverlagerung der Produktion aus der "3. Welt" (z.B. mit Massenentlassungen in Malaysia in den Niederlassungen der multinationalen Elektronikkonzerne) (Meyer-Stahmer 1985, S. 24).

Ohne hier eine ausführliche Analyse zu bringen, sei aber erwähnt, daß diese Entwicklung nicht nur pauschal zu einer allgemeinen Verelendung geführt hat, sondern sich vor allem die Unterschiedlichkeit innerhalb der betroffenen Weltregionen enorm verstärkt hat.

Eigenständige Vielfalt in Nischen

Zu dieser Unterschiedlichkeit gehört auch, daß zumindest aus der Sicht kleiner Regionen es durchaus auch Rückbesinnungen auf andere Wirtschaftsformen gibt und diese brauchen i.a. keinen "äquivalenten" Tausch oder Geld oder eben gar Kapital. In Ostnigeria (bei den Ibos) werden z.B. gegenseitige Verdienste irgendwie im Gedächtnis behalten, aber nicht zahlenmäßig verrechnet. "Im Grunde können sie dieses Verfahren genauso wenig erklären, wie wir das Geld" (Weinrich 1999)

Neue Widerstandsbewegung

Nach den antikolonialen Befreiungsbewegungen und dem Niedergang des real gewesenen Sozialismus schien die neoliberale Variante des Kapitalismus ohne große Störungen ihren Siegeszug rund um den Globus anzutreten. Das erste Signal, daß sich auch Widerstand international und informationstechnisch organisieren kann, war der erfolgreiche Widerstand gegen das Multilatera-len Investitionsabkommen (MAI). Seit dieser Zeit entstand ein globales Netzwerk aus sozialen, ökologischen und entwicklungspolitischen Bewegungen gegen neoliberale Globaliserung, die sich i.a. in deutlichen Protesten gegen die G7-Gipfel und WTO-Konferenzen öffentlich zeigt. 1998 wurde das Netzwerk Peoples Global Action gegründet, das sich mittels gewaltfreiem zivilen Un-gehorsam in einer konfrontativen Grundhaltung gegen alle Formen von Herrschaft und Diskriminierung, besonders gegen die neoliberale Globalisierung, richtet. Eine Interkontinentale Karawane mit 500 indischen und lateinamerikanischen BäuerInnen protestierte 1999 auch in der BRD gegen das ungerechte Weltwirtschaftssystem, Ihre eigene Vision ist eine "Dorfrepublik" mit lokalen Versorgungsnetzen, nachhaltigen Technologien und solidarischen Bündnissen.

Wenigstens erkennen all diese Bewegungen im besonders aggressiven Vordringen kapitalistischer Verwertungsmechanismen die Hauptgefahr. Ob sie aber in einem "normalen" Kapitalismus vielleicht sogar ihre Perspektive sehen, ist zu befürchten. Die EZLN in Mexiko setzt zwar beispiels-weise auf eine völlig neue Vorstellung von Politik: Sie will nicht selbst die Macht erobern, son-dern sie den Menschen überlassen, sie ihnen nur freikämpfen. Ökonomisch haben sie, soweit ich weiß, kein alternatives Konzept entwickelt. Sollte die Herrschaft der auswärtigen und nationalen Großunternehmen vielleicht eines Tages abgeschafft sein - bestünde die Tendenz, daß sich wieder quasi "naturwüchsig" ein klein- und mittelständiger Kapitalismus entwickelt.

Was kann eine Ökonux-Oekonomie für die Welt bedeuten?

Zuallererst müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, wir könnten ein neues Weltwirtschaftssystem auf dem Grünen Tisch herbeizaubern. Eigentlich entwickeln wir in Oekonux lediglich eine Vorstellung, wie wir, das heißt Ich und Du und Du und... alle, die sich selbst beteiligen wollen, miteinander bei der Produktion der nötigen Dinge im Leben kooperieren und zusammenarbeiten wollen.

Ausgangspunkt ist hier die unmittelbar frei verhandelte Zusammenarbeit innerhalb eines umfassenden Netzwerks, das eine gesamtgesellschaftliche Kohärenz erzeugt, die über die direkten Kooperationen hinaus geht. Der Systemcharakter der gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhangs bleibt aber in den unmittelbaren Bedürfnissen und Tätigkeiten begründet - er kann sich nicht mehr als Selbstzweck gegenüber den menschlichen Aktivitäten verselbständigen. Um diese Verselbständigung zu verhindern, sind einige "Sicherungen" notwendig. Diese Sicherungen regeln nur, was aus dem System nicht werden darf - sie legen die Regeln, wie die Abstimmungen und Verhandlungen zu laufen haben, aber nicht fest. Dies zu vereinbaren, bleibt den jeweils Beteiligten überlassen.

Selbstentfaltungs-Ökonomie...

Ausgangspunkt für diese neue Form gesellschaftlicher Reproduktion und Produktion sind die Selbstentfaltungsmöglichkeiten der Individuen. Selbstentfaltung ist dabei nichts egoistisch-nur von innen-nach-außen-Gerichtetes. Menschliche Individuen sind bereits "natürlich gesellschaftlich". Heute leben wir in Verhältnissen, die die Individuen dazu zwingen, ihre eigenen Interessen fast nur auf Kosten anderer realisieren zu können (z.B. in der Konkurrenz um Arbeitsplätze, des Widerstreits zwischen Arbeitsplatznotwendigkeit und dem Interesse an einer intakten Umwelt). Wirkliche Selbstentfaltung funktioniert aber nur, wenn auch um mich herum alle Menschen sich individuell selbst entfalten können. Wenn sie das nicht tun können, erleide auch ich in meinen Kontakten mit ihnen einen Verlust. Gerade in jenen Freiräumen, die es auch jetzt noch gibt, ist dies auch heute schon zu beobachten. Ausgehend von den je individuellen Interessen und Bedürfnissen gehen wir Freie Vereinbarungen ein, um die Dinge gemeinsam zu regeln, bei denen wir jeweils die anderen brauchen. Wie diese Vereinbarungen aussehen, können wir nicht allgemein festlegen. Erfahrungen, wie ohne Geld oder "äquivalenten" Tausch auch hochkomplexe und qualitativ hochwertige Produkte kooperativ hergestellt werden können, können wir aus der Freien-Software-Bewegung entnehmen. Sobald einige Leute für sich wieder Geld einführen, sollen sie das auch dürfen - sie dürfen aber niemals andere Menschen zwingen können, sich dem anschließen zu müssen. (Ausführlichere Darstellungen in den Texten und Diskussionen in www.oekonux.de und bei Gruppe Gegenbilder).

... für den "Rest der Welt"?

Dieses Nicht-Festlegen allgemeiner Regeln verweist schon darauf, daß Ökonox sich nicht in die selbstbestimmten Regeln der jeweiligen Menschen einmischen will. Wichtig dafür sind allerdings die "Sicherungen", die ermöglichen, daß wirklich die Menschen über ihr Schicksal und ihre Vereinbarungen frei entscheiden können.

  • Grundlegend ist hierbei, daß keine Vergesellschaftung über das gesellschaftliche Verhältnis ökonomischer Wertbeziehungen (sprich Kapitalismus) vorliegt.

  • Keine andere überindividuelle "Sache", sei sie "Fortschritt" oder "Entwicklung" genannt, hat über die Freien Vereinbarungen zu herrschen. Was Menschen aus ihren eigenen Selbstentfal-tungsbedürfnissen heraus für sich und füreinander als notwendig erkennen, werden sie selbstbestimmt tun. Es gibt nichts, was quasi "von außen" als Forderung hineinzubringen wä-re - weder als moralische Aufforderung (nach "Verantwortung" oder "Solidarität"), noch in Form "ökologischer Forderungen", die nicht selbst aus dem Leben der betroffenen Men-schen heraus für sie wichtig werden.

  • Dazu darf es keine Institution geben, die Menschen mit irgendwelchen Mitteln (auch morali-schem Druck) dazu zwingt, irgend etwas zu tun. Jede Person muß jederzeit die Möglichkeit haben, sich solchem Druck zu entziehen. Sie muß "gehen können" (nicht umsonst war die "Mauer" das typische Symbol der Unterdrückung in der DDR und nicht umsonst sind angemessene Scheidungsregeln für die Frauenbewegung ein wichtiges Thema). Damit jede/r gehen kann, ohne einen höheren Preis dafür als andere zu zahlen (darin muß Gleichheit bestehen), müssen die Beteiligten Verhältnisse schaffen (was ja in jedem Interesse liegt), daß aus dem Gehen für keine mehr Nachteile entstehen als für andere (vgl. Bestimmungen für eine Freie Kooperation nach Spehr 2000).

Fortschritt für die Welt wird nicht mehr mit Wachstum und Industrialisierung und Staat verbunden. Es gibt keine "nachholende" Entwicklung mehr - sondern Eigenständigkeit. "Eine Welt mit Platz für viele Welten" - wie auf einem Treffen emanzipativer politischer Bewegungen von Vertretern der sog. "3. Welt" gefordert, ist geradezu die Grundlage einer globalen Oekonux-Ökonomie.

"Tragfähige Strukturen können nur entstehen, wenn ein globales Netz lokal und regional orientierter Reproduktionseinheiten aufgebaut wird, die sich gegenseitig unterstützen, Erfahrungen, Erkenntnisse und Produktionswissen austauschen und, last but not least, gemeinsam den Widerstand gegen die heißlaufende Verwertungsmaschinerie und ihre barbarischen Zerfallserscheinungen organisieren. Dieser zu entwickelnde Zusammenhang wäre ein breites Erprobungsfeld für neue Formen sozialer Organisation, und in ihm könnte eine dezentral vernetzte und selbstreflexiv bewußte Weltgesellschaft heranwachsen." (Trenkle 1994, S. 56)

Ist Freiheit zynisch?

Eine Kritik an dem Vorhaben, die Erfahrungen der Freien Software für eine Freie Gesellschaft fruchtbar zu machen, äußert C. Fuchs:

"Der Begriff "frei" ist hier außerdem äußerst zynisch und unangebracht, da der Großteil der Weltbevölkerung so arm ist, daß er von Softwareproduktion noch nie etwas gehört hat oder andere Sorgen hat, die sich auf das unmittelbare Überleben beziehen." (Fuchs 2000, S. 151)

Brauchen arme Menschen etwa keine Freiheit? Klar brauchen die Hungernden keine Software zum Sattwerden. Aber dies war auch nie mit "Freier Gesellschaft" gemeint.

Armut

Meiner Meinung nach kann sogar nur unter den Bedingungen freier Beziehungen die Armut endgültig aufgehoben werden. Dafür gibt es zwei Argumente: Erstens setzt die Selbstenfaltungs-Ökonomie voraus, daß sie nur aus freien Vereinbarungen der Beteiligten erwächst. Das heißt, daß die zur Armut führende Ausbeutung (siehe unten) durch andere nicht mehr vorhanden ist und alle Menschen selbst über ihre Reproduktion/Produktion bestimmen können. Erfahrungsgemäß setzte die übergroße Not für den "Großteil der Weltbevölkerung" nicht deswegen ein, weil sie zu frei gewesen wären, sondern weil sie gezwungen wurden, für den Weltmarkt zu arbeiten oder nach Verlust ihrer Subsistenzbasis "überflüssig" geworden sind.

Zweitens setzt die Selbstenfaltung als Motivation der gemeinsamen Tätigkeit Kräfte frei, die eine höhere Produktivität und Effektivität der Tätigkeit ermöglichen, als wir sie aus Zwangsbedingungen kennen. Nicht umsonst setzen auch moderne Managementmethoden des Kapitals zur Mehrwertsteigerung auf "Selbstverwirklichung im Job" - allerdings zugunsten der Kapitalakkumulation. Die Selbstentfaltung als neuem Zentrum der Produktivkraftentwicklung ermöglicht letztlich insgesamt eine hohe Arbeitsproduktivität und damit die Voraussetzung, daß die "alte Scheiße" (Marx) aufgrund von Mangelbedingungen nicht wieder einsetzt.

Ausbeutung

Der Ausgangspunkt der Selbstentfaltungs-Ökonomie (daß alle Beteiligten aus ihren eigenen Interessen heraus frei verhandeln) und die Regelung, daß niemand anderen Kooperationsregeln aufzwingen können darf, verhindert Ausbeutung. Wie diese Regelung jeweils abgesichert wird, ist auch Thema der Beteiligten und kann nicht im Vorhinein endgültig festgelegt werden. Wichtig ist auch hier die Sicherung, daß jede jederzeit gehen können muß (dann kann auch niemand gezwungen werden, sich ausbeuten zu lassen). Die alte Frage nach dem Eigentum an Lebens- und Produktionsmitteln hat besonders im Übergang eine große Bedeutung. Hier kann die Erfahrung des subversiven Umgangs mit dem Copyright bei der General Public License für Freie Software hilfreich sein.

Ökologie

Menschen haben nicht wirklich das Bedürfnis in einer kaputten Umwelt zu leben. Jahrzehntausende lang konnten Menschengruppen auch unter harten Überlebensbedingungen ihre natürliche Umwelt ökologisch stabil erhalten. Die bereits in der antiken Vergangenheit nachweisbaren ekla-tanten Umweltschäden beruhten nicht auf Selbstentfaltungsbedürfnissen von Menschen, sondern auf der Durchsetzung herrschaftlicher gesellschaftlicher Verhältnisse (Holzraubbau zum Bau von Kriegsschiffen...).

Unter dem Primat der Selbstentfaltungsbedürfnisse fällt die "kompensatorische" Bedürfnisbefriedigung weg, die heute noch viele unerfüllte Bedürfnisse im sozialen und Selbstentfaltungsbereich in eine eher materiell-konsumistische Richtung orientiert. Die selbstbestimmte freie Verhandlung über die Modi der Bedürfnisbefriedigung ermöglicht eine zwanglose Einbeziehung der Bedürftigkeit nach funktionierender ökologischer Einbindung.

Das sog. Allmendeproblem, daß Einzelne im Eigeninteresse gemeinschaftliche Güter übernutzen würden, taucht dann nicht auf, wenn die als verhandelbare Interessen nur wirklich gemeinsame Interessen auftreten (d.h. wenn niemand andere Beteiligte oder Unbeteiligte erpressen kann oder Zugriff auf sie und ihre Ressourcen hat). Die wirklichen Allmenden haben ja auch nachweislich jahrhundertelang funktioniert, weil jede Person, die sie nutzt, weiß, daß sie sie in Zukunft nur nutzen kann, wenn sie sie mit erhält. Erst wenn diese natürlicherweise gegebene perspektivische Sicht durch Eingriffe zerstört wird, setzt sich der Einzelegoismus durch.

Frauenfrage

Viele Frauen unterliegen derzeit einer mehrfachen Unterdrückung. In vielen von ihnen kommen alle Unterdrückungsformen (Patriarchat in Form von sexueller und direkter familiärer Unterdrückung, ökonomische Ausbeutung in Lohn- und Hausarbeit, ethnische Unterdrückung, ...) zusammen. Trotzdem hat inzwischen auch die feministische Theorie gelernt, daß auch diese Menschen Individuen sind, deren Übereinstimmungen nicht erlauben, eine die Individualität unterdrückende Einheitlichkeit ("Frau-Sein") zu konstruieren. Das Konzept einer Selbstentfaltungs-Gesellschaft berücksichtigt die Interessen jedes Individuums, egal welchen biologischen Geschlechts, welcher sozialen Geschlechtsidentität und -orientierung (sex, gender, desire). Die in den am weitesten entwickelten feministischen Konzepten geforderte individuelle Orientierung ist hier gegeben. (siehe auch der Text: Von der Geschlechterfrage zur Selbstentfaltung für jede/n, Schlemm 2001). Für die Selbstentfaltungs-Gesellschaft wird die Beseitigung der Wert-Vergesellschaftung und auch der damit verbundenen Wert-Abspaltung, die eine spezifische Grundlage für das Patriarchat im Kapitalismus und die "Hausfrauisierung" war, beseitigt. Frauen werden nicht mehr "befreit" - bzw. befreien sich - zur besseren Ausbeutung in normaler Lohnarbeit oder Heimarbeit mittels knebelnden Kreditverträgen oder als "kleine Selbständige", sondern zur selbstbestimmten Entfaltung aller ihrer individuellen Potenzen.

Ethnien/Rassismus

Die Zuschreibung biologischer "Rassen" ist schon fachlich falsch - eine auf "Rassen" bezogene Befreiungsbewegung wäre deshalb unangemessen. Rassismus als Unterdrückungs- und Diskriminierung funktioniert dagegen leider sehr real und muß verhindert werden. Nicht nur ideologisch oder moralisch fordernd - sondern in den gesellschaftlichen Strukturen selbst muß eine Bevorzugung von Vielfalt statt Einheitlichkeit angelegt sein. Dies erfüllt die Oekonux-Selbstentfaltungs-Gesellschaft.

Auch die ethnische Vielfalt ist hier fruchtbar - allerdings macht eine Zuschreibung fester Volkszugehörigkeiten nicht viel Zweck. Letztlich bezieht sich dieses Konzept auf die individuelle Selbstentfaltung und wirkt der Zuschreibung - auch der Selbstzuschreibung - fester ethnischer Identitäten eher entgegen. Es macht aber auch keine Vorschriften und verbietet sie auch nicht. Allerdings legt es Wert darauf, daß es letztlich die Individuen selbst entscheiden, wie sie leben. Auch hier hilft wieder die Sicherung: "Jede/r muß können". Es dürfen sich selbstverständlich Frauen dazu entscheiden, im muslimischen Heim zufrieden zu sein. Wenn eine einzelne dies aber für sich nicht möchte, darf sie nicht dazu gezwungen werden können, sondern sie muß gehen können. Wo traditionell die ethnisch oder religiös gebundene Lebensweise auch individuell gewollt wird, wird sie weiter möglich sein - aber geöffnet gegenüber individuellen Wünschen, diese Strukturen zu verlassen. Mehr wollen und können wir dazu gar nicht festlegen...

...und die individuelle Freiheit?

In den ehemaligen Ländern der "3. Welt" wurde oft der vorher koloniale Staatsapparat durch antikoloniale Bewegungen lediglich übernommen. Er wird hier zur Quelle von Korruption, und erfüllt nicht mal die Aufgaben die der bürgerliche Staat in den traditionellen kapitalistischen Industriestaaten wenigstens ansatzweise erfüllt hat (Sozialstaat, Mindestmaß an Demokratie). Nicht nur wegen der Korruption, auch wegen der Funktionslosigkeit verlieren diese seit den Kolonialzeiten aus kapitalistischen Bereichen künstlich eingeführten Nationalstaaten an Bedeutung. Die vorkolonialen Strukturen setzen sich wieder durch. In Äthiopien zerfiel beispielsweise Mengistus Einheitspartei in 32 Parteien, die sämtlich eine Stammesbasis haben (Breytenbach, Kapuscinski 1994, S. 26). Leider unterliegt die neue entstehende Vielfalt unter den jetzigen weltwirtschaftlichen Bedingungen extrem harten Konkurrenzbedingungen. Die Rückbesinnung auf das Alte unter diesen Bedingungen erzeugt zum großen Teil kriegerische Auseinandersetzungen, die kein "Rückfall" in vorkoloniale Zeiten sind, sondern eine neue Barbareiform erzeugen. Die Konkurrenz darum, wer sich noch von den kapitalistischen multinationalen Konzernen ausbeuten lassen darf, wer seine Ressourcen noch gewinnbringend - oder wenigstens zu einem Preis - verschleu-dern darf, lässt gemeinschaftliche Traditionen und traditionelle Streitschlichtungsmethoden leider meist in Vergessenheit geraten. Aus der Sicht von Gemeinschaften ist es schon ein Fortschritt, wenn in einigen Gebieten, wie von den Schwarzen Gemeinden in Kolumbien, festgestellt wird: "Wir können nur frei sein, wenn auch die anderen frei sind".

Gleichzeitig ist das reine Überleben nur in festgefügten Gemeinschaften möglich. Dies wird begleitet von nationalistischen bzw. ethnischen und religiösen Ideologien.

All dies bietet wenig Raum für die von uns in den Mittelpunkt gestellte Individualität. Individualität begegnet den betroffenen Menschen höchstens als Aufforderung zur ökonomischen Selbstverantwortung:""Jeder einzelne in der Gesellschaft muß die Verantwortung für sein eigenes Wohlergehen übernehmen" (Llosa 1997, S. 48). Aus in Gemeinschaft eingebundenen Menschen sollen kapitalistische Marktmonaden werden...

Es sieht nicht gut aus für die von uns gemeinte individuelle Selbstentfaltung. Die "Fixierung auf Gemeinschaft und Negierung des Individuums als Überlebensstrategie" (Winter 1997, S. 219) und die "Selbstbestimmung der Völker" - statt der Individuen - kann für Individuen sehr unterdrückerisch wirken. Allein das Stellen dieser Frage wirft eine Menge Probleme auf...

Literatur:
Breytenbach, Breyten; Kapuscinski, Ryszard (1994): Ist Afrika zu retten? In Wochenpost Nr. 19, 5.Mai 1994, S. 26-27
Fuchs, Christian (2001): Soziale Selbstorganisation im informationsgesellschaftlichen Kapitalismus, 2001
Gremliza, Hermann, L., (1996): Schöne neue Weltordnung. In: KONKRET 9/96, S. 9
Gruppe Gegenbilder (2000): Freie Menschen in Freien Vereinbarungen - Gegenbilder zur EXPO 2000. Saasen 2000
Ling, Martin (2001): Prima Klima für Katastrophen. 800 Millionen hungern, doch immer mehr Gelder fließen in kurzfristige Hilfen. In: Neues Deutschland 31. Mai 2001
Llosa, Mario Vargas (1997): "Angst vor der Freiheit". Der Literat und ehemalige peruanische Präsidentschaftskandidat Mario Vargas Llosa über die Globalisierung und ihre Chancen für die Dritte Welt. In: Wirtschaftswoche Nr. 47, 13.11.1997, S. 48-51
Meyer-Stahmer, Jörg (1985): Mikroelektronik, Internationale Arbeitsteilung und Differenzierung der 3. Welt. In blätter des iz3w, Nr. 130, Dezember 1985, S. 18-25
Reinhardt, Dieter (1997): Apokalypse und Weltmanagement. Die enge Verwandtschaft negativer und positiver Utopien. In: blätter des iz3w Heft 221, Mai 97, S. 25-27
Schlemm, Annette (2001): Von der Geschlechterfrage zur Selbstentfaltung für jede/n, in: Internet: http://www.thur.de/philo/feminismen.htm bzw. http://www.opentheory.org/feminismen (2001)
Spehr, Christoph (2000): Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation. zugleich Beantwortung der von der Bundesstiftung Rosa Luxemburg gestellten Frage: "Unter welchen Bedingungen sind soziale Gleichheit und politische Freiheit vereinbar?", Bremen 2000
Trenkle, Norbert (1994): : Das Ende der zentralen Marktwirtschaft - Vom warenförmigen Gesell-chaftsmoloch zur dezentral vernetzten Welt. In: Informatik Forum, Band 8, Nr.2, Wien 1994, Themenschwerpunkt "Telematik und Lebensräume"
Weinrich, Richard (1999): Mail an mich vom 15. Juni 1999
Winter, Jens (1997): Eselsbrücken sind Holzwege. Mexiko, der EZLN und die Chiapas-Solidarität drei Jahre danach. In blätter des iz3w, Februar 1997, S. 10-13


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