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"Dort wo alles Arbeit ist, ist gleichzeitig nichts mehr Arbeit"
Am Morgen des 3. November 1979 besetzten die Mitglieder der damaligen
Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK) die Häuser und die Hallen der in
Konkurs gegangenen Schnapsfabrik Esser in der Düsseldorfer Straße. Werner
Heidenreich, Gründungsmitglied, beschreibt im Vorwort der
Jubiläumsbroschüre das Grundstück: ·Es war ein schönes Gelände, der große
Innenhof war herbstlich mit Blättern bedeckt, und die Fassaden hatten ein
freundlich warmes Aussehen." Die Bedingungen waren jedoch katastrophal.
Löchrige Dächer, kalte, feuchte Zimmer mit undichten Türen und Fenstern.
Zudem konnten sie nur ·mit ätzend qualmenden Kohleöfen", die die SSKler
vom Sperrmüll holten, heizen. Es gab weder Strom noch Wasser. Neben dem
Grundstück lag die alte Dachpappenfabrik ZIKO, deren Besitzer sich von
der SSK Schutz gegen die geplante Verlagerung der Fabrik versprach. Der
Besitzer half der Gruppe, indem er sie mit Wasser und Strom versorgte, da
die GEW dies verweigerte.
Die Mitglieder begannen allmählich das gesamte Gelände zu renovieren.
Politische Unterstützung kam unverhofft vom damaligen Stadtdirektor der
CDU, Uhlenküken. "Ohne diese beiden Personen gäbe es heute wahrscheinlich
kein 20jähriges SSM-Jubiläum", resümiert Heidenreich.
Aktionen und Tätigkeiten
Die Düsseldorfer Straße 74 war Teil des Sanierungsgebietes und sollte für
Neubauten abgerissen werden. So lag der Einstieg in der Sanierungspolitik
mitzumischen für den Verein nah: Die SSM trug entscheidend zur Enthüllung
und Bekanntmachung der "Mülheimer Grundstücksaffäre" 1980 bei F&G bei.
Nach diesem Skandal und dem selbstbewußten Auftreten der SSM in der
Öffentlichkeit öffneten sich zaghaft einige Türen: CDU, FDP und die
Grünen interessierten sich für die Umgestaltung des besetzten Geländes
und boten ihre Hilfe an. Die "Grauen Panther" und besonders die Grünen
verhalfen der SSK zu einem Platz im Sanierungsbeirat, mit sichtbaren
Erfolgen: Die besetzten Häuser in der Holweider Straße blieben erhalten
und das ganze Gebiet entlang des F&G Geländes wurde nicht, wie geplant,
abgerissen.
1984 startete der SSM sein Landprojekt. Die Grundidee bestand darin,
einen Hof zu finden, auf dem sie ökologische Landwirtschaft betreiben und
auf dem einige Leute leben und arbeiten können. Die SSM-Aktivisten fanden
schließlich in Erp, 30 km von Köln entfernt, einige Hektar Land, die sie
von einem Bauern pachteten. Im ersten Jahr bauten sie nur Kartoffeln an,
im zweiten Jahr kamen Roggen und Hafer hinzu. Zwei Mitglieder des Vereins
zogen auf den Hof, um dort zu leben. "Wegen persönlichen Querelen
innerhalb der SSK endete das Projekt", so Heidenreich. 1988 änderten die
SSKler ihren Namen in Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM).
Räumungsklagen gegen die Hausbesetzer des SSM gab es viele, alle ohne
Erfolg. 1993 kam es dann zum Mietvertrag mit der Stadt Köln. Die
Sozialistische Selbsthilfe Mülheim bekam die Renovierung des Geländes und
der sich darauf befindlichen Gebäude angerechnet. Die "erbrachte
Leistung" verrechnete die Stadt mit der Miete, insgesamt 380.000 DM. Der
Vorwurf, die SSM zahle kein Miete, wies Mitinitiator Rainer Kippe
vehement zurück. Für die ganze Mietzeit von 30 Jahren ist die Stadt von
allen Kosten wie Grundbesitzabgaben, Versicherungen und
Instandhaltungskosten befreit. Kippe kritisiert die von der Stadt
anerkannte Summe. Die öffentliche Hand müßte für die Unterbringung von
fünfzehn Menschen im sozialen Wohnungsbau für 14 Jahre ca. zwei Millionen
DM ausgeben. Allein durch die Unterbringung und Integration von
Schwerstbehinderten - der SSM erhält keine staatlichen Fördermittel, auch
keine Sozialhilfe - erspart der Verein der Stadt jährlich 150.000 DM.
Diese Summe summiert sich in den nächsten Jahren auf 4.5 Millionen DM,
erläutert Rainer Kippe.
Das Selbstverständnis der SSM
Auf dem Gelände wohnen heute "fünfzehn Menschen in einer sozialistischen
Gemeinschaft", erklärt die ehrenamtliche Mitarbeiterin Gisela Emons. Hier
leben Leute zusammen, die sich nicht vom bestehenden System ausbeuten
lassen wollen", charakterisiert Emons die Mitglieder. Sie betont, daß es
durchaus nicht nur Obdachlose und Sozialschwache sind, die auf dem
Gelände leben. Wer in die Gemeinschaft aufgenommen wird, entscheidet die
Mitgliederversammlung, an der alle fünfzehn Bewohner teilnehmen. "Keiner
ist in der Gemeinschaft weniger wert, jeder hat die Möglichkeit, bei
allen Tagesordnungspunkten mitzubestimmen, z.B. wer kocht und was es
gibt", beschreibt die engagierte Frau. Jeder trägt durch gemeinsame
Arbeit zur Gemeinschaftskasse bei: Der Verein bietet z.B. Umzugs- und
Entrümpelungsaktionen an, die er mit dem vereinseigenen LKW durchführt.
Zusätzlich erhält jeder ein Taschengeld.
(Zum 20-jährigen Bestehen der SSM ist eine Broschüre erschienen: "20
Jahre SSM - 20 Jahre gelebte Utopie), 54 Seiten, 8 DM, ISBN 3-932248-09-0)
(Kölner Woche vom 25.11.99)
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