Abstrakte und bestimmte Negation

Im Folgenden zitiere ich einen längeren Absatz aus einer Mitschrift einer Logik-Vorlesung:

"Hegel hält zwei Momente der Vernunft fest: sie ist negativ-dialektisch und positiv-spekulativ. Dies ist verwirrend, weil Hegel hier die Begriffe "positiv" und "negativ" nicht im wahrhaft philosophischen Verständnis gebraucht. Es scheint hier zunächst das Negative dem Positiven gegenüberzustehen. (Daß dies nicht so ist, wird sich auf der nächsten Seite zeigen.) Statt negativ-dialektisch wäre es besser zu sagen "abstrakt-negativ", und statt "positiv" "konkret-negativ" oder "bestimmt-negativ". Die erste Seite der Vernunft ist die abstrakt-negative, "das Tun des Skeptikers" (Hegel, Enzyklopädie). Die abstrakte Negation streicht den Unterschied weg; sie bleibt beim unmittelbaren Resultat stehen: es resultiert immer das Nichts: "..., weil sie die Bestimmungen des Verstands in nichts auflöst;" Das "nichts" sollte hier kursiv gedruckt sein. Man kann natürlich bei der ersten (Formallogiker) und bei der zweiten (Skeptiker) Stufe des Denkens stehenbleiben, und das ist in der Geschichte der Philosophie häufig geschehen. Das Tun des Skeptikers ist die verständige Interpretation des Negativ-Vernünftigen<. Verständiges Vorgehen heißt: Festhalten bzw. Fixieren eines Moments. Damit ist das Moment nicht mehr Moment. Der Skeptiker bleibt beim abstrakt-negativen Moment des Vernünftigen stehen. Er geht zunächst zwar dialektisch vor, er erkennt den Widerspruch in den Verstandesbestimmungen, vermag diese aber im Resultat nur wegzustreichen, indem er meint, das Resultat des Widerspruchs wäre die Null. In den Zenonischen Aporien wird der Widerspruch in der Bewegung aufgezeigt. Fliegender Pfeil. Etwas ist zugleich hier und nicht hier. Jede Bewegung setzt den Widerspruch voraus. Ohne Widerspruch keine Bewegung (siehe oben: Selbstbewegung). Für den Skeptiker besteht das Resultat darin, daß sich die Widersprechenden gegenseitig aufheben. Der Skeptiker ist konsequenter Formallogiker. Obersatz: Den Widerspruch gibt es nicht. Untersatz: Die Bewegung enthält den Widerspruch. Resultat: Es gibt also keine Bewegung. Die Bewegung, das Werden und Vergehen gehört der Welt des Scheins an (Parmenides). Damit ist aber das Problem nicht gelöst, denn der Schein ist selbst wieder eine widersprüchliche Bestimmung. Der Skeptizismus ist die Dialektik, die ihr Resultat mißversteht, die nicht das Resultat der Negation erkennt. Die Vernunft löst die Bestimmungen des Verstands in nichts auf. Es ist hier entscheidend, wie sie aufgelöst werden: aus irgendwelchen Gründen, oder als Resultat der Selbstaufhebung der Verstandesbestimmungen. Philosophisch ist nur der Gang der Selbstaufhebung. Die abstrakte Negation widerspricht sich, weil sie als Resultat das Nichts hat, und zwar das Nichts als ein unmittelbares. Das unmittelbare Resultat ist das Nichts. Das Resultat streicht die Bewegung, die vorher war, weg. Es ist nicht in dem Resultat des Skeptikers ausgedrückt, daß das Resultat Resultat ist. Es gibt keine Bewegung des Negierens. Das Nichts soll Resultat sein, aber dies wird nur behauptet, nicht gezeigt. Die abstrakte Negation ist irrational, weil sie sich als Tätigkeit durchstreicht. Ein unmittelbares Resultat ist eine contradictio in adjecto, denn ein Resultat ist nichts Unmittelbares, sondern ein Vermitteltes (durch die Bewegung des Aufhebens, durch die Bewegung der Negation). Das Resultat muß das Werden des Resultats zeigen. Das Resultat der abstrakten Negation ist immer das gleiche, immer die Null. Es wird vergessen, daß ein Bestimmtes negiert wird." (Wladika 1999b)



 

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