1.1 Die Möglichkeit als Triebkraft

Wenn wir verstehen wollen, wie die „Arbeit der Vernunft der Sache“ funktioniert, müssen wir eigentlich die gesamte Hegelsche Philosophie reproduzieren. Wer eine Vorstellung von Dialektik hat, hat schon eine Ahnung davon.

Es geht dabei um die Selbstentwicklung von Etwas, das sich über die Entfaltung von Widersprüchen verändert, etwas Anderes wird usw. usf. Dabei verwirklichen sich Potenzen, die vorher nur der Möglichkeit nach vorhanden waren. „Der Möglichkeit nach“ ist eine ganz gute „Übersetzung“ für den Terminus „an sich“. Wenn Hegel schreibt „Das Ansich regiert den Verlauf“ (HW 18: 40), bezieht er sich auf diese Bestimmung der Entwicklung aus der Möglichkeit heraus.

„So im Keim der Pflanze. Es ist dem Keime nichts anzusehen. Er hat den Trieb, sich zu entwickeln; er kann es nicht aushalten, nur an sich zu sein. Der Trieb ist der Widerspruch, daß er nur an sich ist und es doch nicht sein soll. Der Trieb setzt in die Existenz heraus. Es kommt vielfaches hervor; das ist aber alles im Keime schon enthalten, freilich nicht entwickelt, sondern eingehüllt und ideell. Die Vollendung dieses Heraussetzens tritt ein, es setze sich ein Ziel. Das höchste Außersichkommen, das vorherbestimmte Ende ist die Frucht, d. h. die Hervorbringung des Keims, die Rückkehr zum ersten Zustande. Der Keim will sich selbst hervorbringen, zu sich selbst zurückkehren. Was darin ist, wird auseinandergesetzt und nimmt sich dann wieder in die Einheit zurück, wovon es ausgegangen.“ (ebd.: 41)
Bei dieser Aufeinanderfolge der Verwirklichung dessen, was vorher jeweils nur den Status des Möglichen hatte, schreitet auch die Bewegung in der Geschichte fort vom Unvollkommenen zum Vollkommeneren, wobei das Unvollkommene „das sogenannte Vollkommene, als Keim, als Trieb in sich hat“ (HW 12: 78).

Was das Vollkommene ganz genau ist, wie die „vollkommene Welt“ aussieht, gibt Hegel nicht vor. Es spricht von „Perfektibilität“, das „beinahe etwas so Bestimmungsloses als die Veränderlichkeit überhaupt [ist]; sie ist ohne Zweck und Ziel wie ohne Maßstab für die Veränderung: das Bessere, das Vollkommnere, worauf sie gehen soll, ist ein ganz Unbestimmtes“ (ebd.: 75).

Trotzdem gibt es eine Richtung der geschichtlichen Entwicklung, ob etwas vollkommener als das andere ist, lässt sich an einem Kriterium messen. Dieses Kriterium ist der sog. „Endzweck der Welt“ und dieser ist “das Bewußtsein des Geistes von seiner Freiheit und ebendamit die Wirklichkeit seiner Freiheit überhaupt“ (ebd.: 32).


 
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