Das inszenierte Chaos
& Klaus der Geiger

- von Herrmann Cropp -

Der ist doch berühmt! Der könnte Geld machen wie Heu! - denken nicht nur Passanten, die ihn mal auf der Domplatte, in der Fußgängerzone Osnabrücks oder auf WDR und Arte sehen, das denken auch neidvoll besserstehende Kollegen, deren Talent eher im Sichverkaufen als im Sichverwirklichen liegt, wobei am ärgerlichsten für solche Menschen wohl ist, diese Vernichtung von Profit, das in den Wind schlagen von Chancen, der Verzicht auf künstlerische Auserwähltheit, außerdem macht er die Preise kaputt. Eine Antiberühmtheit ist nämlich auch eine Berühmtheit, und das macht begehrlich, aber Klaus: "Da hab ich kein Bock drauf! Da muß ich mich ja anpassen."

Das wäre die Gelegenheit für ein paar indiskrete, persönliche Fragen, seine Offenheit lädt ein ihn zu demontieren, zB als Egoisten, wie sein Sohn ihn in einem Fernsehfilm nannte, denn mangels Sachfragen, die nicht mehr so recht in dieses lackierte Zeitalter passen, gibt es jetzt diesen demokratischen Reflex, Helden zu stürzen. Aber Klaus stürzt sich selber, "Ich war einer von den Männern, die ihr ganzes Geld versaufen, ja ehrlich, ich hab gesoffen! Und wie! Aber wir hatten trotzdem genug, es war hart, das stimmt, aber wir hatten genug, man muß ja auch nicht immer alles haben. Manchmal war es schon schlimm, schwer, aber das Saufen hat mir nichts gemacht, sieht man ja heute."

Musikalischer Pluralismus

Köln Ende Oktober 2000, angekündigt sind zwei Konzerte mit Kompositionen von Klaus dem Geiger mit dem Verdi Quartett und einem Konzertsänger, eine Werkvorstellung, die eine Vorstellung davon geben könnte, was nach der Straßenmusik kommt. In letzter Zeit äußert er sich unzufrieden über die Straßenmusik, "Entweder macht man Straßenmusik richtig, oder gar nicht. Straßenmusik ist etwas, wo man immer am Ball bleiben muß," und ich glaub, er sprach auch mal davon, daß es anstrengend sei. Ein andermal bedauerte er, schon lange nicht mehr auf der Straße gespielt zu haben. "Wenn ich mal ne Woche oder so nicht auf der Straße war Musik machen, merk ich das, mir fehlt dann was, im Grunde ist das wie eine Sucht." - bißchen hin und her, oder? Jedenfalls macht Klaus noch vieles andere, spielt in mehreren Bands, übernimmt Theaterrollen, zB in einem Stück von Karl Valentin oder den Meister Eder im Pumuckel. Außerdem hat er wieder angefangen zu komponieren - und das ist ernst! - nach dreißig Jahren Straßenmusik kommt nun doch etwas Neues, möglicherweise bei seiner Liebe zur Disharmonie ein neuer Aufbruch zur musikalischen Toleranzerziehung und Verbesserung der Menschen durchs Gehör.

Die Musikkneipe Loft ist erste Adresse für "Neue Musik" und Jazz in Köln, voll war es leider nicht, vielleicht weil die Musikfreunde eine Bastardisierung Neuer Musik mit Straßenniveau befürchteten. Während eines Stücks, das Klaus allein spielte, war es interessant die Musiker - nicht das Publikum - zu beobachten: eine Künstlerin drückte auf schöne Weise durch ihr Gesicht den Eindruck, den die Musik auf sie machte, aus, sie saß zurückgelehnt mit geweiteten Nasenflügeln, als könnte sie die wirren, schrillen Wirbel des Crescendos einatmen, und schien sehr aufmerksam. Bei der nächsten Steigerung senkte sie den Kopf und schob die Unterlippe vor wie zu einem genießenden Kirschenmund, und beim Schluß des Stückes empfand ich, hatte sie etwas Stolzes, Zufriedenes im Gesicht, wieder zurückgelehnt und die Augen weit offen, als könnte sie Musik sehen, schmecken und riechen. Ich erläutere dies so genau, weil die kommunikative Bedeutung der Sprache Musik selten beachtet und noch seltener verstanden wird, und übrigens war gerade dieses Stück "Computata" eins seiner "unharmonischsten".

Harmonien möchte Klaus nämlich kaputt machen, er kratzt einige Antiharmonien auf der Geige und frägt, "ist eigentlich gut, ist auch Musik, nä?" Mir als Vielhörer sind Abwechsung und Vielfalt sowieso lieber, wie übrigens auch sonst im Leben, Abweichungen von zu erwartender Melodie und Harmonie wirken auf mich wie spürbare Erleichterungen im Kopf, als sehnten meine Synapsen sich danach endlich neue Verbindungen zu knüpfen. Das Musik kaputt machen könnte man allerdings auch anders nennen: eine Erweiterung des Hörbaren, Schaffung neuer Töne und Harmonien, was gerade heute so notwendig ist zum Erlernen von Toleranz gegenüber dem Unbekannten und Fremden, musikalischer Pluralismus als Einübung von Denkweisen, die auch sozial notwendig sind. Möglicherweise besitzt Klaus nicht die Virtuosität der Klassikstars, aber er produziert einen akustischen Reichtum und eine Vielseitigkeit der Stimmen, was direkt mit sozialem Reichtum zu tun hat. Ich rate jedem, und zwar dringend, zu seiner neuen CD, zB Mozarts Nachtmusik ist darauf gecovert, eine Erholung von der Klassik!

Anarchistischer Dämon

Samstag morgen, nach dem ersten Konzert, saß ich mit Klaus beim Frühstück, "Du hast ja Blumen auf dem Tisch!" (es war nur eine, und zwar eine Rose.)

"Das ist die Ruhmesblume von gestern."
"Aber sie läßt den Kopf schon hängen."

Das kommt Klaus Selbstzweifeln entgegen, "Ja, der Ruhm welkt schnell dahin."

Nach einiger Zeit kommt Ulla, Klaus Frau, dazu, wir reden und irgendwann bemerke ich, "Oh, die Blume richtet sich auf!"

"Tatsächlich," staunt Klaus, und ich erlaube mir das Kompliment, "Seit Ulla hier ist."

Am nächsten Morgen beim Frühstück stelle ich fest, daß die Rose sich noch weiter aufgerichtet hat und sogar aufzublühen beginnt. Wir schauen zu Ulla, aber sie versachlicht, "Ich sehe das schon die ganze Zeit, ihr nicht?"

Klaus: "Was hast du gemacht, daß sie so aufblüht?"
"Ich hab nichts gemacht, ich hab sie nur angekuckt."
"Kannst du mich nicht auch mal so ankucken?"
Aber jetzt hat Ulla keine Freude mehr an dem Spiel und fragt zurück, "Willst du auch nochmal aufblühen?"

Gut, das haben wir verstanden, außerdem glaube ich, ist sein Verhältnis zur Musik frühlingshaft genug, das blüht auch so, und ich bin hingerissen, echt! Die überraschendste seiner Kompositionen ist das Quartett für 6 von 1968, und ein Kritiker, der das ganze mißversteht, würde meinen: Hah! da hat der Chaot sich selbst widerlegt, das präzise Chaos, quasi vom Laplace'schen Dämon durchkomponiert, ein wahrhaft künstlerisches Plädoyer für deterministisches Chaos! Was dem Kritiker bloß nicht passen wird, ist der schmuddelige, anarchistische Stil und die Art und Weise des Komponisten, der sich zwar irgendwie auch als Dämon fühlt, aber gewiß nicht im deterministischen Sinne.

 

Quartett für 6

Die Musiker haben noch nicht ihre Plätze eingenommen, da beginnt die erste Geige einen einzigen Dauerton, zwei Violinisten und ein Notenhalter laufen mit verhaltener Eile durch den Zuschauerraum zur Bühne und spielen vom Blatt, so fängt der komponierte Ulk an. Das Widersinnige daran überrascht am meisten, etwa wenn zwei Streicher auf einem Cello oder einer Geige spielen, oder wenn während des Spiels die erste Geige aufsteht und tut, als wollte sie gehen, das ist in solcher Präzision einfach zu toll, denn wirklicher Ulk würde sich verselbständigen und ausufern, während dieser hochkonzentriert ist: eine Geige klassikt, eine andere knirscht, als stürbe sie, bums - da fällt ein Eimer, der Tenor probt mit gewichtiger Miene einen schiefen Ton, Klaus hebt bedeutungsvoll den Komponistenfinger, Einsatz für das denkwürdige Sicherheben einer Violinistin mit weit ausholendem Bogen ... sie setzt an zum Spiel ... und setzt sich unverrichteter Dinge, zwei der sechs klatschen als Publikumsersatz, einer ruft Pfui, einer Bravo, alle springen auf und fangen an zu diskutieren, setzen sich und versuchen zu spielen - wenn nur der Komponist ihnen glanzvollere Parts zugewiesen hätte, aber aller Fortgang der Musik ist ein Unterbrechen. Schließlich wird das bisher Gespielte über Lautsprecher rückwärts abgespielt, während die Musiker weiter vorwärts ... nein, nun steht in den Noten: zurückblättern, vorblättern, zurück, Nervosität, Aufregung, Ärger, Klaus nimmt den Gong und bearbeitet ihn, nur noch Krach, eine Geigerin steht auf und geht, das Cello folgt, noch eine Geige geht, der Gong lärmt, bloß die erste und letzte Geige hält aus und endet nach allem Lärm mit einem einzigen Dauerton, der auch der Anfang des Stücks war. Klaus: "Das B läuft durch das ganze Stück, das war son Anker, am Schluß wird er immer leiser, er darf eigentlich nicht aufhören, nur leiser werden. Der Ton muß bleiben," und indem er verschwindet, setzt er sich in der Erinnerung fort.

Das inszenierte Chaos mag ein Widerspruch in sich sein, und dann noch auf die "zehntel Sekunde genau", wie Klaus betont. Eben darum geht es, das Sich nicht fügen Wollen der individuellen Akteure in einer punktgenauen Komposition zu erfassen, denn wenn man den Künstlern zur Darstellung des Sich-nicht-fügen-Wollens auf der Bühne keinerlei Vorgaben machte und alles dem Zufall überließe, kämen erstens wahrscheinlich nicht soviele gute Szenen heraus, zweitens wäre die Darstellung des Sich nicht fügen Wollens ja auch schon eine Vorgabe ... und drittens, wie gesagt, würde so ein offenes Konzept schnell verflachen oder ritualisieren. Dieses Stück von 1968 repräsentiert die Aufgeregtheit, die nervliche Anspannung, die Phantasie und den Veränderungswillen einer Umbruchzeit, soetwas im Jahr 2000 aufzuführen läßt den Kontrast zur heutigen business-as-usual-Stimmung deutlich werden - "Neue Musik von 68? Das soll ich mir kaufen?"

Ideale, oder?

Das ist natürlich ein Argument, aber wir können ja nach der Vorstellung etwas trinken gehn und uns unterhalten, und das Bier ist sicher nicht von 1968. In der Künstlerkneipe sitzen wir mit zwei "Violinen" und reden über Straßenmusik und Krautrock und über das inszenierte Chaos im Quartett für 6.

"Chaos - ja, da bin ich voll drauf. Das Stück ist nur ein Rumwühlen im Chaos, so wie es damals war, ich hab alles kaputt gehaun. In der Komposition ist durch die Präzision zwar viel Mathematik drin, viel Mathematik, (das bezieht sich auf die Form, ohne Mathematik kann man nicht komponieren) und auch Philosophie (Fluxus), aber dann hab ich es kaputt gehaun. Ich hab ein halbes Jahr an dem Stück gemacht, das war in Kalifornien, es war Sommer, Sonne, und ein Kolibri kam immer durchs Fenster rein, der hat mir das Stück kaputt gemacht," was heißt, Klaus hat sich ablenken lassen, und das war ihm wohl auch recht so. "Die Californischen Nächte waren das Chaos, darum ging das. ... und die Zwölftongeschichte mache ich so, du spielst vier von unten oder sieben von oben, da fehlen noch fünf ... oder ich laß sie zusammenlaufen ...", weitere Fragen dürfte der nebenstehende Partiturausriß erklären.

Klaus erinnert sich, "Als ich 1970 mit der Straßenmusik anfing, und ein halbes Jahr in Knast kam, schrieb mir meine Elektronik-Lehrerin Pauline Oliveros, ich hätte die Kultur verraten. Sie war der Meinung, daß Kultur und Politik sich nicht vermischen lassen, und wir hätten die Kultur zu verändern," - wenngleich er sich 30 Jahr lang in diesem Sinne als Kulturverräter betätigt hat, sieht man ihm bei der Erinnerung die Ratlosigkeit an - "Als sie uns später besuchen kam, haben wir uns wieder vertragen, sie war ganz anders drauf, sie hat zB Karten gelegt und die politischen Ereignisse vom Spielen auf der Straße bis zum Gefängnis tarotmäßig erklärt."

Wie, weiß ich nicht mehr, kamen wir dann auf andere Musiker zu sprechen, die zur Alternativkultur gehören und eine vergleichbar unabhängige Existenz führen. "Mit Manni Neumeier von Guru Guru oder Christian Burchard von Embryo würde ich gerne einmal spielen, aber ich weiß nicht, ob die mich nicht akzeptieren, oder woran das liegt, daß es nicht klappt." ... diese Bemerkung, deren Bedeutung mir erst nicht aufging, beschäftigte mich einige Zeit, bis ich darauf kam, daß es den andern Musikern ja ähnlich geht, zB bei Rio fiel mir diese eigenartige Isolation auf, die auch durch einen All-Stars-Auftritt am Schluß der Veranstaltung nicht gemildert wurde. Wären es lauter Kommerztypen, könnte ich verstehn, wie Klaus nach einer Studioaufnahme für BAP über das leere Gerede bei einem teuren Drink an der Hotelbar klagt, aber den authentischen Krautrock zeichnet ja grade aus, und zwar ganz im Gegensatz zum angloamerikanischen Rock, daß er sich von dem Hippieideal wildromantischer, linker Kommunezeiten nie emanzipieren konnte. Nirgends ist Underground so underground geblieben wie in Deutschland, und dennoch hat die Isolation sie/uns mit den Jahren ereilt, uns, die wir so gläubig für eine neue, emanzipierte menschliche Gemeinschaft eingetreten sind.
(Christian Burchards globale Dauertour zB hat sicher viel mit Alleinsein zu tun, und trotzdem kommt er mit seiner Band, wenn wir ihn rufen.)

Zum Schluß gingen wir in den hinteren Saal der Kneipe, wo die arrivierten Künstler der Domstadt den Geburtstag einer der Ihren feierten, ich kann nur sagen: rauschend! berauschend wäre zu wenig, mehrere gut gekleidete Kellner bedienten die geladenen Gäste, die Musik war ausgesucht, kann man in Köln ja gar nicht anders erwarten, vom Buffet war auch noch was übrig - die Gelegenheit für Leute wie mich, die sonst immer zu spät oder zu kurz kommen. Die Geburtstags- wie sage ich das? -Prinzessin trug ein wenigstens fußlanges, rotes Samtkleid, es saß wie angegossen, ich hatte das Vergnügen, da sie mir beim Tanzen auf den Fuß trat, sie in der Hüfte einwenig aufzufangen und war so überrascht von der Weichheit wahrscheinlich des Stoffs, oder? daß ich Schuldgefühle bekam wie ein Dieb, der aber statt Geld Zärtlichkeiten stielt, doch sie entschuldigte sich noch - Nun bin ich ganz durcheinander, ob nicht diese elegante, geschmackvolle Künstlerwelt der gefühlsrohen, unausgegorenen Straßenkultur vorzuziehen ist, zumal dort auch nicht so ein Darben ist, die Existenz immer auf der Kippe, nie richtig ernst genommen werden und sich nur auspowern.

Oder?

Die neue CD "Klaus d. Geiger" gibts bei selbigem für 30,- incl Porto, Mainzerstr 27, 50678 Köln

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- Diese Seite enthält einen Gasttext in "Annettes Philosophenstübchen" - 2000 - http://www.thur.de/philo/geiger.htm -