Freiberger Modell

Frank Richter, Freiberg

Lange Zeit ist der Modellbegriff in der materialistischen Erkenntnistheorie, und erst recht in den marxistischen Gesellschaftswissenschaften mit äußerster Skepsis betrachtet bzw. total abgelehnt worden. Wer z. B. von verschiedenen Modellen des Sozialismus sprach, geriet schnell in den Verdacht des Revisionismus. Wer vom prinzipiellen Modellcharakter der Erkenntnis sprach, war wohl eher ein idealistischer Agnostiker als ein optimistischer materialistischer Abbild-Theoretiker.

Dabei bot es sich doch geradezu an, die auch im Marxismus letztendlich vorhandene theoretische Vielfalt über den Modellbegriff in eine gewisse Ordnung zu bringen. Als ein noch relativ unverfänglicher erster Versuch bot sich die Wissenschaftsphilosophie an, die in der DDR durch verschiedene Schulen und Zentren vertreten wurde (Berlin, Leipzig, Jena, Dresden). Hier ging es im Streit immer noch um Alleinvertretungsansprüche und absolute Wahrheiten. Dem fügte ich nun das Freiberger Modell hinzu - mit ausdrücklicher Betonung einer auch theoretisch vertretbaren Theorievielfalt. Ganz insgeheim hielt ich natürlich dann doch mein Modell für das Beste..

Der Grundgedanke des Freiberger Modells sollte kein geringerer sein, als das in den Technikwissenschaften zu einer bestimmten Perfektion gebrachte Modelldenken als entscheidende Eigenheit menschlichen, und dann also auch marxistischen Denkens zu begreifen. Freilich bereitete es einige Schwierigkeiten, das als eine Form materialistischen Denkens verständlich zu machen. In der Tat läßt sich ja technisches Denken leicht auf eine idealistisch klingende Weise charakterisieren.

Die drei wesentlichen Bestimmungsstücke dieses Modells sind:

1. Das eigentliche Untersuchungsobjekt der Technikwissenschaften ist im Unterschied zu dem der Naturwissenschaften weniger die Natur selber, sondern eher der Mensch in seinen Beziehungen zur Natur, und zwar hinsichtlich der in jenem Stoffwechsel zu entwickelnden und einzusetzenden materiell-gegenständlichen Instrumente. 

2. Das Ziel dieser Tätigkeit ist demzufolge weniger die Abbildung einer bestimmten Realität, sondern die Schaffung von Realität, deren Gestaltung und nicht zuletzt Beherrschung, und dies auf der Grundlage von konstruktiven Ideen. 

3. Die grundlegende Methode dabei ist weniger die Abstraktion, also das in den Wissenschaften übliche Aufsteigen vom Einzelnen zum Allgemeinen mit der einen und richtigen Theorie am Ende des Erkenntnisprozesses, sondern die Konkretisierung. Hier geht es um die interdisziplinäre Verknüpfung allgemeineren wissenschaftlichen Wissens zu einer Singularität, zu einer bestimmten Technik oder Technologie, die unter ganz bestimmten Bedingungen funktionieren muß. Dafür gibt es in der Regel aber mehrere Möglichkeiten (z.B. verschiedene Motortypen, Prozessoren oder Stahlerzeugungsverfahren u.ä.), so daß hier Modellvielfalt typisch ist.

Diese drei Aspekte auf eine materialistische Erkenntnistheorie zu projizieren ist das "Freiberger Modell". Es paßt gut zur 
1. Marxschen These über Feuerbach und vermeidet deshalb die Naivitäten des Realismus bzw. naiven Materialismus.

Als Ergänzung und Vertiefung existiert seit März 2001 eine neue Unterseite zur Spezifik technikwissenschaftlichen Wissens

 

Kurzfassung eines Aufsatzes zum Thema, dessen Langfassung ebenfalls angesehen werden kann.
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