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Die 1. Philosophische Zukunftswerkstatt in Jena

Ich kenne meine Freunde im Freundeskreis "Zukunftswerkstatt" ganz gut. Schon früher habe ich ihnen immer mal etwas erzählt über die Dinge, die mir gerade im Kopf herumgingen. Seit einem Jahr haben wir auch viele Themen aufgegriffen, die von ihnen selbst kamen (Zukunft der Kinder, Bildung und Erziehung., Konfliktbewältigung in Gruppen...). Zum Kennenlernen von etwas tiefer lotenden philosophischen Fragestellungen wollte ich nun auch nicht viel von mir vorgeben.

Deshalb nahmen wir uns eine ganze Gesprächsrunde Zeit, die Themen zu finden, die uns allen naheliegen. Der allgemeinste inhaltliche Rahmen, der auch impliziert, daß jeder betroffen und aussagefähig ist (was das Prinzip der Zukunftswerkstatt erfordert), ist das Thema des "Ich".

Ich sammelte dazu viele anregende Zitate - aus dem von mir in der letzten Zeit gelesenen Bereich (klassische deutsche Philosophie und Praxisphilosophie) - die auf die verschiedenste Weise etwas zu der Frage "Ich und die Welt" aussagen. Einige Wochen vor dem Gespräch nahm sich jeder zufällig drei derartige Zitate und konnte über die inhaltlichen Aussagen darin nachdenken. Wir wollten nicht die Gedanken der philosophischen Größen nachvollziehen, sondern diese Sätze sollten eigene Gedanken anregen.

Als wir schließlich - um eine bunte, runde Kerze versammelt auf dem Fußboden sitzend - ins Gespräch kamen, fanden wir auch bald zu interessanten Themen. Sätze wurden genannt, eigene Assoziationen dazu festgehalten und weitergeführt. An einigen Stellen erfolgte ein Für und Wider, das uns insgesamt tiefer in das jeweilige Thema hineinführte.

Ich forderte immer wieder auf, auch andere Sätze mit zu überdenken, um neue Gedankengänge einzubeziehen. Obwohl das den Gedankengang erst einmal unterbrach, wurden tatsächlich immer wieder neue Bezüge gefunden, auf die ich z.B. mit der Logik in meinem Kopf allein nicht gekommen wäre.

Widersprüche zwischen unseren Meinungen ließen wir stehen, denn wir haben in unserer Gruppe noch Gelegenheit, weiterzudiskutieren. Erst einmal wollten wir unsere Meinungen und Interessen kennenlernen.

Ein Protokoll des Gesprächs ist hier nicht geplant. Aber einige Zusammenfassungen zum Inhalt möchte ich doch anbieten:

Hannah Arendts "Der Mensch ist das Beginnenkönnen selbst" wurde für die Menschheit als Gattung akzeptiert - für das eigene Leben allerdings eher relativiert. Es ist nicht gut, immer wieder etwas neu zu beginnen - manchmal muß auch etwas zu Ende geführt werden. Gewohnheiten sind zur Stabilisierung wichtig. Es wurde auch bemerkt, daß nicht alles Machbare (z.B. in der Technik) unbedingt gemacht, also neu begonnen werden muß.

Der Satz "Da ich das außer mir nicht ändern konnte, so beschloß ich, das in mir zu ändern" (von Fichte) zeigte das Interesse an eher persönlichen Veränderungen, die allerdings selbstverständlich von allen so interpretiert wurden, daß die inneren Veränderungen nur Sinn machen, wenn man danach und durch sie schließlich auch das Äußere zu verändern sucht.

Unsere jüngste Teilnehmerin, die 14-jährige Tochter einer Freundin, stellte dann die einfache Frage: "Kann man sich überhaupt ändern?", die dann zum Mittelpunkt des Gesprächs wurde.

Die meisten von uns stellten fest, daß wir in uns einen recht festen, unveränderlichen Kern haben (in dem sich bei manchen verschiedene Anteile auch verschieben können), die meisten Veränderungen aber in einer Art Hülle um diesen Kern herum stattfinden und den eigentlichen Kern weniger berühren. Dieser Kern wurde vor allem in Hinsicht auf Charakter und persönlichen Eigenheiten gesehen, weniger in bewußten Teilen des "Ich"s. Die Feststellung der starken Beständigkeit dieses Kerns bringt auch mit sich, daß man aus dem etwas zu machen versuchen muß, was man ist - und sich nicht als völlig anderen Menschen wünschen und "ummodeln" soll.



Der relativ starke Zweifel an der Selbstveränderung im Kern zeigte sich auch in der starken Ablehnung des Satzes "Das Wesen des Menschen ist wesentlich seine eigene Tat" (Schelling). Es wurde höchstens zugegeben, daß das Wesen des Menschen auch, aber nicht wesentlich durch die eigene Tat bilden könne.

Ich bin mir noch nicht ganz klar über diese Aussagen. Ich hatte mehr Optimismus bezüglich der Selbstveränderung erwartet, da viele der Diskussionsteilnehmer bereits derartige Veränderungen hinter sich haben. Das Ergebnis das Gesprächs muß ich jedoch akzeptieren. Vielleicht steckt dahinter, daß der akzeptierte und angestrebte Anteil an Selbstveränderung schon so selbstverständlich ist, daß jetzt schon im zweiten Schritt die Selbstbehauptung und die Warnung vor dem Übertreiben in die Diskussion gerät.

Die 14-Jährige stellte dann noch eine für sie sicher sehr wichtige Frage, wie sie einer der Philosophen nicht besser hätte formulieren können: "Muß man sich an seine Umgebung anpassen oder sollte man sich eine Umgebung suchen, der man sich anpassen will?".

Abgesehen davon, daß es für einen Abend sicher zu viel Substanz auf einmal war, die Visualisierung wegen zu dünnem Stift und mangelndem Licht nicht recht wirkte und die Gesprächsmethode ungewohnt war, haben doch die meisten Lust, an den Themen weiterzuarbeiten. Wir werden dann zu Beginn des nächsten Abends ein Thema bzw. eine Themengruppe auswählen, die wir gründlicher ausloten wollen. Zur Gruppierung der Themen und Fragen in Gruppen und der Auswahl werden wir typische Methoden der Zukunftswerkstatt verwenden (Visualisieren, Gruppieren, jeder kann Punkte verteilen...).

 

 

siehe auch: ein Buch-Gespräch

Zu den "Sokratischen Gesprächen" empfehle ich ganz besonders: die Web-Seite der Philosophisch-Politischen Akademie e.V.

siehe auch: Gasttext von Fahra Lenser und Heiner Benkung: Dialog Kultur und Runde Tische

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