Umfassender Bereich Ich war zwar nie DDR-Philosoph(in), aber ich muß mich doch abarbeiten an diesem Thema. Meine ersten Jahre der Beschäftigung mit Philosophie waren geprägt von der Literatur, die es in der DDR gab und auch im positiven wie im negativen Sinne an der inneren Auseinandersetzung damit.
Die "alten Philosophen" lernte ich schon als Lehrling
durch die billigen Reclamausgaben kennen. Im Physikstudium beschäftigte
ich mich intensiv mit "Philosophischen Problemen der Naturwissenschaften"
(wie die entsprechenden Lehrstühle hießen). Komischerweise
konnte ich damals mit den auch in Jena intensiv diskutierten Selbstorganisationskonzepten
nicht besonders viel anfangen. Ich wollte in die Richtung Kosmologie-Philosophie
und sah damals bei der Thematik "Selbstorganisation" keinen Anknüpfungspunkt dafür. Deshalb konzentrierte ich mich erst einmal aufs Fachstudium. Politik interessierte mich sowieso nicht. Von der gerade ablaufenden "Ruben-Affäre" (Kaltstellung einer kreativen Philosophengruppe um Peter Ruben) bekam ich damals nichts mit, auch wenn das vielleicht der Hintergrund dafür war, daß eine Philosophin aus Berlin, mit der ich zu Studienbeginn eine Zusammenarbeit vereinbart hatte, mich ziemlich barsch zurückwies, als ich nach bestandenen Physik-Hauptprüfungen wieder mit ihr Kontakt aufnehmen wollte. Damit war mir erst mal der Boden unter den Füßen weggezogen, weil ich mir in der DDR auf dem Gebiet der Philosophischen Probleme der Naturwissenschaften für mich damals keine bessere fachliche Einbindung vorstellen konnte. Jena war da keine bessere Perspektive, aus welchen Gründen auch immer. Dadurch war ich dann auch offener gegenüber anderen interessanten Impulsen. Ich begann mich mehr und mehr auch
für gesellschaftliche Zusammenhänge zu interessieren,
Erfahrungen zu sammeln, die wiederum theoretisch aufgearbeitet
werden wollten. Das Babyjahr verhalf mir zu der nötigen intensiven
Arbeitszeit. Fachlich war ich von Anfang an auf mich allein gestellt.
Eine Dissertation war geplant, aber ich wollte so viel wie möglich
auch ohne institutionelle Einbindung machen. So nahm ich dann
1989 einfach als Einzelperson am "Wettstreit junger Philosophen"
anläßlich des Philosophiekongresses teil, wurde auch
eingeladen, meine Themen vorzustellen. Ich hatte - über den
Umweg der Gesellschaftstheorie - einen Zugang zum Selbstorganisationskonzept
gefunden. Als Physikerin fiel es mir nicht schwer, mich fachlich
hineinzuarbeiten. Die gesellschaftlichen Praxisbezüge hatte
ich aus der FDJ. Meine Meinung damals ging nicht über den DDR-Sozialismus hinaus - konnte aber theoretisch fundierte Kritikansätze an theoretischen Konstruktionen und Praktiken der Partei (SED) ableiten. Daß ich dabei nicht voll auf Konfrontation gehen konnte, war mir klar - ich wollte es auch nicht. Ich wollte eher helfen, daß sich intern etwas verbessern kann. Ich sah die Schwachstellen in Theorie und Praxis eher als Entwicklungsprobleme, denen man mit besseren Vorschlägen abhelfen könne.
Die Situation sah damals ungefähr so aus:
Der Sozialismusgedanke beruht u.a. darauf, daß das Besondere
des Menschen, sein Bewußtsein, sich auch in seiner gesellschaftlichen
Verfaßtheit verwirklichen soll. Dazu sollte die Gesellschaft
bewußt , das hieß planmäßig und organisiert,
gestaltet werden. Gesellschaftliche Entwicklung folgt objektiven
Gesetzmäßigkeiten. Die können
erkannt werden, setzen sich aber nicht automatisch durch, sondern
nur durch das Handeln der Menschen. Dieses Handeln zu organisieren,
war Aufgabe der führenden Partei.... Ganz langsam begann spätestens in den 80er Jahren wieder (über frühere Debatten z.B. um Havemann usw. möchte ich nichts schreiben, weil ich das nicht aus eigener Erfahrung kenne) eine Diskussion darüber, ob die Gesetzmäßigkeit der Entwicklung auch die Ziele quasi "vorschreibe". In den Parteischulen (zumindest in derjenigen, in der ich ein Jahr lang extern einiges beigebracht bekommen sollte) wurde tatsächlich so argumentiert, daß diese objektiven Gesetze "vorgeschrieben" seien, daß sie nur noch zu erkennen im Sinne von "abzulesen" seien und daß es für die Parteifunktionäre dann nur noch darauf ankomme, sie den Menschen so gut wie möglich zu erklären und ihnen zu sagen, "wo es lang geht". Ich wußte nun aus der Praxis, wie blöd das ist. Es funktioniert nicht (weil die Menschen nicht mitmachen oder nur gezwungenermaßen, also nicht kreativ) und... irgendwie kam mir das ganze Konzept nicht ganz realistisch vor.
Nun, ich bin ein eher theoretischer Typ - wenn ich schon Probleme
habe, dann kämpfe ich nicht nur "aus dem Bauch heraus"
gegen irgend etwas, sondern ich suche mir die Begründung
eines Besseren und kritisiere dann daher. Wichtige Grundlagen
dafür fand ich sogar in den veröffentlichten Texten.
Eher im Bereich der Naturphilosphie (deren Literatur die Gesellschaftstheoretiker
ja nicht so intensiv zur Kenntnis nahmen) fand ich den Begriff
des "statistischen Gesetzes" von Herbert Hörz.
Die Hörzsche Naturphilosophie konnte zwar innerhalb der DDR-Naturphilosophie
dominieren (Lehrbücher...) - dafür wird H.Hörz
heute auch mächtig gescholten - aber die darin steckende
Gedankenwelt wurde praktisch aus der Politikbegründung sorgsam
herausgehalten. Den Begriff "Möglichkeitsfelder"
und "Variantenvielfalt" hörte ich jedenfalls von
Gesellschaftstheoretikern zum allerersten Mal auf dem letzten
DDR-Philosophiekongreß im November 1989, als ihre Möglichkeiten
schon längst aufgegeben waren (und auf der Parteischule war
ich damit mächtig angeeckt...). Andere Punkte waren
ein sehr lineares Denken, das zu der erwähnten Zielvorherbestimmtheit
führte, die Naturontologie (Löser), die den Materialismus
eigentlich wieder in einen mechanischen überführte,
und eine formalistische Dialektik. Dem glaubte ich abhelfen zu können durch die Kenntnis und Einbeziehung der physikalischen Selbstorganisations- und Synergetikkonzepte. Das gab mir die Möglichkeit, über Gesetzmäßigkeiten mit Möglichkeitsfeldern und dem Entstehen von Neuem, wie sie sich auch H. Hörz mit dem statistischen Gesetzesbegriff vorstellte, nachzudenken.
Auf diese Weise konnte ich meine Physik- und Philosophiekenntnisse
gut verbinden und die praktische Seite in der FDJ wurde genauso
wesentlich. Diese drei Felder verband ich in dem oben genannten
Beitrag für den Philosophiekongreß. Ich weiß
noch, daß mich mein früherer ML-Professor aus Jena
nicht so recht kennen wollte... (wahrscheinlich weil ich ganz
alleine und nicht unter seinen oder anderer respektabler Fittiche
da anmarschiert bin). Aber beim Vortrag konnte ich mich darüber
freuen, daß einige Philosophen, von denen ich viel halte,
durchaus zustimmend-interessiert reagierten. Ein Beitrag für
die Philosophiezeitschrift kam nicht zustande, weil die gerade
den Vortragsteil wollte, der die wichtigen Aussagen nicht mehr
enthielt... Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich war nicht gegen die DDR-Philosophie, den Sozialismus oder die DDR... Ich führte die Probleme auch nur auf Entwicklungsprobleme zurück und die theoretischen Differenzen als normale Erkenntnisschranken, die es zu erweitern gilt. Rein subjektiv war und ist es auch eine solche Schranke. Insofern sehe ich für den "Stalinismus" auch so etwas wie eine erkenntnistheoretische Wurzel. Nicht nur aus Machtlüsternheit haben viele Funktionäre ihre führende Rolle ausgefüllt - sondern aus dem erkenntnistheoretischen Irrtum, der mit diesem einseitigen Gesetzesbegriff verbunden ist. Sie sahen sich, wie irgendein Politbüromitglied nach der "Wende" schrieb, als "Erfüllungsgehilfen" der gesellschaftlichen Gesetze. Persönlich durchlebten sicher viele von ihnen eine schwere Dramatik. Sie gaben sich als Persönlichkeit auf, um diese Gesetze durchzusetzen und forderten dies dann auch von den anderen.
"Verwirklichung der erkannten Wahrheit hieß dann für
uns Durchsetzung der Wahrheit gegen die existierende Umwahrheit,
zuerst in den Köpfen der anderen Menschen... Um durchsetzungsfähig
zu werden, mußten wir uns organisieren, Macht aufbauen und
Macht ausüben..." (Sesink).
Ich hatte jedenfalls im Babyjahr 1987 angefangen, alle Ansätze
für eine differenziertere Sicht aufzuarbeiten. Die Perestroika
konnte mir da gar nicht allzuviel helfen, weil sie nicht mit entsprechenden
theoretischen Überlegungen verbunden war, sondern ziemlich
destruktiv verlief. Gorbatschow wollte sich super-demokratisch
nur auf den "Geist des Volkes" verlassen, ansonsten
steckte da nicht viel Überlegung dahinter. Ich habe damals
gehofft, daß es gelingen wird, diesen praktischen Neuaufbruch
mit nun stattfindenden theoretischen Überlegungen zu verbinden...
Aber mein erster philosophischer Fachvortrag in den alten Institutionen
war dann zugleich mein letzter, weil diese Institutionen kein
Möglichkeitsfeld mehr hatten. Ihre Zeit war abgelaufen -
ich konnte weitermachen. Allerdings begab ich mich auch in keine
neuen Institutionen hinein... Hoffentlich nicht typisch, aber
für mich bezeichnend war die Erfahrung, daß schon im
Februar 1990 einige Teilnehmer des "Forums junger Philosophen"
in Leipzig nur noch Karriereaussichten in den neuen Fachgebieten
"abcheckten". Ich habe damals zu DDR-Zeiten schon ziemlich zwischen den Stühlen gesessen, weil neben den fachlichen Differenzen, die ich einigermaßen aus Zeitschriftenartikeln nachvollziehen konnte, auch viele persönliche Häkeleien zwischen verschiedenen Philosophenschulen eine Rolle spielten. Schon damals ergaben sich lebensgeschichtlich Entscheidungen nicht nur aus dem reinen Fach. Heute sehe ich noch deutlicher, daß bei der Entscheidung für eine bestimmte Philosophieschule die eigene Person eine Rolle spielt wie auch die Art und Weise, wie einem die anderen Menschen begegnen.
Mit meinem Engagement zum Philosophiekongreß begann die Bekanntschaft mit Professor Hörz, der sich mir gegenüber von Anfang an kollegial verhielt. Da aus den damaligen Planungen nichts mehr wurde, arbeitete ich wieder allein weiter, schickte unter anderem ihm ab und an mal aktuelle Manuskripte. Irgendwann meinte er, ich solle dazu einfach mal ein Buch schreiben. Wenn ich mir heute ansehe, was ich damals gemacht hatte, muß ich sein Vertrauen in mich umso höher bewerten. Übrigens hatte ich bald teilweise andere Meinungen als er - und er hat mich nur bestärkt, daran weiterzuarbeiten. Besonders in meinem zweiten Buch, das sich inhaltlich mit seinem Buch "Selbstorganisation sozialer Systeme" stark überschneidet, werde ich oft anders an die Themen herangehen als er. Bei dem zentralen Begriff des Gesetzes komme ich noch nicht einmal dazu, das zu tun, wozu er mich aufforderte: an meinen eigenen Überlegungen weiterzuarbeiten. Sie sind im ersten Buch nur angedeutet.
Diese Haltung ist für mich mindestens genauso wichtig für
das inhaltliche Verarbeiten seiner Gedanken. Ich hoffe, mich ähnlich
verhalten zu können, wenn mir in meinen Philosophiegesprächen
andere, von mir abweichende Meinungen begegnen... Inhaltlich bin ich natürlich auch stark von den DDR-Jahren geprägt. Da ich schon zu DDR-Zeiten über das nachgedacht habe, was ich übernommen habe, hab ich oft im Kopf eine andere Vorstellung von verschiedenen Inhalten, als sie in den schlechteren Lehrbüchern standen. Ich habe keinen Grund, diese Vorstellungen über Bord zu werfen, nur weil ich damit nicht mehr Karriere machen kann. Ich habe inhaltlich allerdings genügend Gründe, sie immer wieder neu zu überdenken, und auf-zuheben (im hegelschen Sinne: weg-heben, auf-nehmen, höher-heben). Wie aus meinen neueren Texten zu sehen ist, habe ich auch viel dazugelernt, Früheres wieder aufgenommen, neu durchdacht... Ich bin auf dem Weg, immer noch und immer wieder. Ich möchte neue Grenzen überschreiten. Aber ich weiß, daß am Anfang meines Weges wichtige Kilometer in einem heute oft verleugneten Land und Theoriegebiet liegen. Wenn ich lernfähig sein will, dann muß ich mich immer wieder abarbeiten an diesen Kilometern und sie nicht verleugnen. Was ich gelernt habe, nehme ich immer mit. Zum Beispiel erinnere ich mich angesichts der in der Gegenwart modernen Philosophie an die Kritik von U. Röseberg auf dem letzten DDR-Philosophenkongreß im November 1989: "Der aufstrebende Pfeil auf dem Titelblatt des Buches "Sozialismus in der DDR" kennzeichnet eine Gesellschaftskonzeption, die sich in unverantwortlicher Weise ihrer Gegenwart und Zukunft sicher ist..."
So ein Pfeil begegnet mir jetzt an den Autobahnen ("Aufschwung Deutschland!") immer wieder...
So unaktuell scheint diese Kritik auch heute gar nicht zu sein!
Literatur zu diesem Thema u.a.
Eidam, H.u.Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Kritische Philosophie
gesellschaftlicher Praxis - Auseinandersetzungen mit der Marxschen
Theorie nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus, Würzburg
1995
siehe auch:
Ebenfalls zum Thema:
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