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Assoziationen
beim Lesen von Marxens Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten

1844 weiß Marx noch nichts von der später behaupteten historischen Mission des Proletariats. Er weiß, daß der Kapitalist notwendig siegen wird, weil er länger ohne den Arbeiter leben kann als dieser ohne jenen (S. 471). Vorausgesetzt ist hier, daß der Kapitalist ALLE Produktionsmittel besitzt; deshalb muß der Arbeiter zu ihm betteln kommen, wenn er seine Lebensmittel erzeugen will. Wir betteln heute immer noch im Investitionen und Arbeitsplätze und geben Marx damit recht.

Die gewaltsame, revolutionäre Enteigung der Enteigner hat nicht viel gebracht und wird so nicht zu wiederholen sein. Aber: ist nicht der Kapitalismus inzwischen soweit, daß der die wirklichen Produktionsmittel oft achtlos beiseite läßt, weil sie nicht mehr genug Profit bringen? Können wir nicht wenigstes die aufnehmen und uns der Erpressung entziehen? Bahro nimmt von Biedenkopf nicht profitables Land in Pacht und 40 Leute entwickeln dort Lebens-Arbeitsplätze (Öko-Kommune Pommritz).

"Der Arbeiter ist zu einer Ware geworden, und es ist ein Glück für ihn, wenn er sich an den Mann bringen kann. "(471) Später spricht er ökonomisch exakter nur noch von "Arbeitskraft". Später wird er exakt begründen, wieso die Arbeitskraft in 12 Stunden mehr Produkte erzeugt, als sie selbst zur Reproduktion benötigt. Der Wert dieser zusätzlichen Produktion wird von Nichtarbeitenden angeeignet - Ausbeutung. Dieses ist ein Zahlenspiel. Man fühlt sich zwar betrogen - aber doch nicht im Kern seines Wesens betroffen. Aber mein Problem besteht nicht nur darin, 6 von 8 Arbeitsstunden für den Profit zu arbeiten - mein Problem besteht darin, MICH überhaupt als Ware anbieten zu müssen.

Schon wieder mal hat mir Marx meine Gedanken vorweggenommen ("Die Prostitution ist nur ein besondrer Ausdruck der allgemeinen Prostitution des Arbeiters" (538)). Seit meinen Gängen zum Arbeitsamt-Sklavenmarkt fühle ich mich prostituiert. Körperliche Prostituion im sexuellen Bereich ist nur eine Sonderform der körperlichen Prostition an der Maschine und der geistigen Prostitution am Computer. Ich habe meine Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, mich, meinen Leib, mein Denken. Nach Gefühl und Sinn und Zweck darf nicht gefragt werden (man muß es aber vorspielen).

"Totes Kapital wird gleichgültig gegen die wirkliche individuelle Arbeit" (472). Ebenso wird die Arbeitstätigkeit, der "Job", getrennt von Bedürfniserwägungen und Sinnfragen. Ist nicht eher hier der Knackpunkt zu finden für ein Ausbrechen aus den Teufelskreisen des kapitalistischen Lebens? Der Sozialismus/Kommunismus soll nicht nur die Mehrprodukte gerechter verteilen, und sich dem abstrakt-formalen Wertgesetz ansonsten genauso unterwerfen - sondern die QUALITÄTs- gegen die Quantitätsorientierung ersetzen!

Heute läuft die Love-Parade. Machen diese jungen Leute nicht mehr Revolution als ich mit meiner Theorie? Sie jobben zwar auch dies und jenes - lassen sich aber schon nicht mehr so ganz als Rädchen ins Produktionsgetriebe einbauen wie das alte Proletariat. "Spaßgeneration" - ein Pulverfaß gegen entfremdete, sinnlose Arbeitsformen?

Marx kritisiert an der Nationalökonomie genau das, was später als "Marxismus" verkauft wird: die Reduktion des Menschen auf seine ökonomische Funktion, die Reduktion der Arbeit auf die Erwerbsarbeit (S.477)!!!

Kommentar zum Real-Sozialismus:

"Eine gewaltsame Erhöhung des Arbeitslohns (von allen andren Schwierigkeiten abgesehn, abgesehn davon, daß sie als eine Anomalie auch nur gewaltsam aufrechtzuerhalten wäre) wäre also nichts als eine bessere Salairung der Sklaven und hätte weder dem Arbeiter noch der Arbeit ihre menschliche Bestimmung und Würde erobert." (S. 521, Kursiv von mir A.S.)

"Man hat in Frankreich berechnet, daß bei dem jetzigen Standpunkt der Produktion eine durchschnittliche Arbeitszeit von täglich 5 Stunden auf jeden Arbeitsfähigen zur Befriedigung aller materiellen Interessen der Gesellschaft ausreichen würde..." (Schulz, Bewegung der Production, von Marx 1844 zitiert).

Die Schlußfolgerung zog erst Marxens Schwiegersohn Lafargue: Das Recht auf Faulheit! Ich ergänze - angesichts der ökologischen Gefahren - Pflicht zur Faulheit!

Beitrag zur Gewaltdebatte: "Die kaufende Gewalt seines Kapitals, der nichts wiederstehn kann, ist seine Gewalt." (S. 484)

Anhand des Grundbesitzes zeigt Marx, wie alles, was der Warenkonkurrenz unterworfen wird, in die Polarisierung Kapital-Arbeit hineingezogen wird. Andersherum gelesen: die Alternative ist die Nicht-Konkurrenz. Hier wird die Gewalt des Kapitals machtlos.

Marx freut sich, daß er die "Frage nach dem Ursprung des Privateigentum in die Frage nach dem Verhältnis der entäußerten Arbeit zum Entwicklungsgang der Menschheit verwandelt" (521) hat. Warum ist ihm das wichtig? Es gelingt ihm dadurch, die Probleme nicht auf eine Sache außerhalb des Menschen (Privateigentum) zu schieben, sondern in dem zu lokalisieren, was unmittelbar im Menschen steckt.

Diese Verschiebung der Problemsicht nimmt er später zurück und versucht aber die Konzentration auf das Menschliche beizubehalten indem er das "Privateigentum" als Verhältnis zwischen Menschen umdefiniert und hofft, mit der Aufhebung des Privateigentums auch diese Verhältnisse umzustülpen.

Der Arbeiter ist notwendig entfremdet. Als nichtentfremdeter Mensch wäre er kein Arbeiter mehr. Marx kritisiert an der Nationalökonomie, den Menschen nur in seiner Funktion als Ware "Arbeiter" zu betrachten. In den ÖPM kommt er immer wieder auf die notwendige Verflochtenheit von Kapital und Arbeit in ihrer Gegensätzlichkeit zurück.

Zur Überwindung dieses Zustands folgt Marx später dem Hegelschen Muster der Überwindung des Gegensatzes durch Kampf der inneren Gegensätze. Was ist innerhalb? Marx erkennt das Wesen der kapitalistischen Gesellschaft richtig als ökonomiebeherrscht. Deshalb sucht er dann die Gegensätzlichkeit auch nur noch innerhalb der ökonomischen Beziehungsmuster wie die vorher kritisierte Nationalökonomie und sieht im Arbeitssubjekt - der Arbeiterklasse - die revolutionäre Kraft.

Wenn das Primat der Ökonomie für den Kapitalismus tatsächlich gilt, sind seine Gesetze dadurch bestimmt. Diese zu erkennen, anerkennt Marx an der Nationalökonomie und kritisiert gleichzeitig ihre Beschränkung - der er später auch unterliegen wird.

Das Wesen bestimmt auch die weitere Evolutionstendenz - aber nur, solange man innerhalb eines Systems bleibt!!! Wenn sich das Wesen sprunghaft ändert, wie wir für die Gesellschaft ja wollen, gibt es einen diskontinuierlichen Übergang zweiter Art - nicht Weiterentwicklung des gegebenen Systems, sondern Tod und Aufhebung in einem umfassenderen, wobei ein völlig neue(s) System(e) mit völlig neuem Wesen entsteh(t/en) - den Hegel noch nicht kannte und Marx nicht einführte. Aber jetzt kommts:

Selbstorganisierte (d.h. jede) Entwicklung ist gesetzmäßig und ist nicht gesetzmäßig: Nicht gesetzmäßig, weil nicht die Gesetze des alten Systems seine weitere Evolution bestimmen (und deshalb auch nicht aus seinen wesentlichen inneren Gegensätzen einer als Sieger des Kampfes hervorgeht, sondern das System als Ganzes vergeht).

Gesetzmäßig, weil seine Systemleistungen in einer umfassenderen Systemeinheit aufgehoben werden, dessen Evolution neuen Gesetzmäßigkeiten folgt, bis auch diese an ihre Grenzen stoßen (Evolution der Evolutionsprinzipien!).

Meine Arbeit ist zugleich wissenschaftlich und nichtwissenschaftlich. Wissenschaftlich, weil ich Gesetze erkennen und Erscheinungen erklären möchte. Unwissenschaftlich, weil ich meine Wünsche, Hoffnungen und Abneigungen (möglichst transparent !) mit einbringen muß, wenn es um die neuen Systemzustände außerhalb dieser Gesetze des Gegebenen geht. Die Vereinigung dieser beiden Aspekte kann zu einer neuen Wissenschaftlichkeit führen, die den ganzen Menschen mit seiner Fähigkeit, Gesetze zu kritisieren und zu brechen und neue einzuführen, beinhaltet.

Die Wissenschaft kann also nicht vorausbestimmen, was wir zu tun haben.

Der "neue Mensch" konnte im Real-Sozialismus bloß proklamiert werden, aber er konnte nicht entstehen, weil der "rohe Kommunismus" nur eine "Erscheinungsform von der Niedertracht des Privateigentums (war), das sich als das positive Gemeinwesen setzen will." (536) Marx hat damit nicht nur nicht unrecht gehabt mit seinen Theorien - sondern er wußte mehr, als die heutigen Abrechner mit dem Realsozialismus. Ob der rohe Kommunismus eine notwendige Durchgangsstufe der geschichtlichen Entwicklung würde, oder eine rein logische Einseitigkeit bleibt, ließ er (hier noch) offen.

Seine Beschreibung des Kommunismus als "wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen" und damit "als vollendeter Naturalismus= Humanismus, als vollendeter Humanismus =Naturalismus" "unter Voraussetzung des positiv aufgehobnen Privateigentums" überläßt uns die Konkretisierung...

Der Mensch ist doch die Krone der Schöpfung. Die Weltgeschichte ist das "Werden der Natur für den Menschen" (546). Nicht weil der Mensch nichtig ist gegenüber der Weisheit von Mutter Gaia oder den kosmischen Harmonien fordere ich die Abkehr von den jetzigen Entwicklungslogiken in unserem Verhältnis zur Natur - sondern der Mensch kann gerade seiner hohen Bedeutung nur gerecht werden, wenn er seine "Vorgeschichte" endlich beendet und den "vollendeten Naturalismus= Humanismus, (und damit den) vollendeten Humanismus =Naturalismus" durchführt.

 

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